Zur Person
Verena Keller hat 32 Jahre als Flugbegleiterin für zwei Chartergesellschaften (SATA und Balair) und anschliessend für Swissair und Swiss gearbeitet. In ihrer Freizeit profitierte sie von Flugvergünstigungen als Airline-Angestellte. Verena hat dadurch fast jede Ecke der Welt kennengelernt. Sie berichtet von unvergesslichen Erlebnissen bei einer Rucksackreise in Jemen, von Trekking auf den Kilimanjaro und den Mount Kenia, von Zeltferien am Sambesi oder von Aufenthalten an exotischen Orten wie den Malediven oder Tauchferien in Belize… Geblieben sind die Flugvergünstigungen auch nach der Pension, doch schon viele Jahre vor dem Rentenalter hat sie das Reisen in der Schweiz und in den umliegenden Ländern – oft per Fahrrad oder mit Öffentlichen Verkehrsmitteln – für sich entdeckt. Im Gespräch erzählt sie, warum sie heute lieber auf den Sattel statt ins Flugzeug steigt.

Vera Thaler: Als erstes interessiert mich die Frage nach dem Warum! Wie kam es zu diesem radikalen Wandel? War es eine bewusste Entscheidung, nicht mehr zu fliegen?

Verena Keller: Wie schädlich das Reisen fürs Klima ist, war am Anfang meiner Zeit in der Fliegerei (1978) noch nicht so bekannt. Trotzdem habe ich mich oft gefragt, ob ich es verantworten kann, so viel unterwegs zu sein. Später kamen die offensichtlichen Probleme des Tourismus dazu. Überall gab es zu viele Menschen (Touristen) an denselben Orten, Reisen mussten billig sein und die Menschen haben sich nicht mehr auf Land und Leute vorbereitet, nahmen keine Rücksicht auf die lokale Bevölkerung. Oft habe ich mich auch geschämt für andere Touristen, welche sich unmöglich und rücksichtslos benommen haben. Ich begann mir die Frage zu stellen, ob weniger nicht auch mehr sein könnte.  Weniger weit, weniger oft und langsamer reisen, erschien mir immer mehr die vertretbare Art, um dem Alltag zu entfliehen, Neues zu entdecken und den Horizont zu erweitern.

Ich bin in den vergangenen 14 Jahren (seit der Frühpensionierung als Swiss Mitarbeiterin) aber doch auch ein paar wenige Male «schwach» geworden. 2019 flog ich an meine Lieblingsdestination, nach Dar Es Salaam. Es war November und zwei meiner engsten Freudinnen weilten dort, und so habe ich meine Vorsätze über Bord geworfen. Alle paar Jahre habe ich, aus verschiedenen Gründen, auch in Europa das Flugzeug bestiegen. Ich bin also nicht ganz strikt.

VT: Was findest du an Fahrradreisen so schön?

VK: Viele Jahre verbrachten wir unsere Ferien so, dass wir irgendwo losgestrampelt sind mit einem konkreten Ziel, zum Beispiel ab Zürich nach Nyon, Salzburg oder das Elsass usw. Unterwegs haben wir jeweils beschlossen, wo genau wir durchfahren würden und je nach Wetter, Lust, Konditionslevel oder Hotelangebot kam so eine Route mit vielen Umwegen und verschieden langen Etappen zusammen. Ich liebe es, spontan entscheiden zu können. So zu reisen gibt mir ein Gefühl von Freiheit. Durch diese Art des Reisens habe ich Zeit die Landschaft, die Gerüche, die Farben richtig wahrzunehmen und oft empfinde ich es auch als befriedigend am Abend körperlich müde zu sein. Ich logiere oft in kleinen Hotels und Gasthöfen, was ich als nachhaltiger und angenehmer erlebe als der Aufenthalt in einem grossen, anonymen Hotel. Zudem belastet es mein Ferienbudget weniger stark.

 

Ihr Verhalten zeigt mir, dass wir die innere Einstellung ändern müssen, denn Reisen ist eine Sucht. Es muss immer mehr sein und immer exotischer.
Verena Keller

VT: Man könnte vermuten, du bist gesättigt vom vielen Unterwegssein? Du hast schliesslich so Vieles gesehen und erlebt wie kaum andere.

VK: Ich denke, dass ich eher zur Einsicht gekommen bin, dass ich viele Naturerlebnisse auch näher haben kann als am Ende der Welt. Es gibt auch in der Schweiz viele verschiedene Landschaften, abgeschiedene Täler, die Berge sowieso und auch wenig touristische Orte, die mich faszinieren und zum Staunen bringen. Mein «ökologisches Gewissen» verdirbt mir zum Teil die Freude an Reisen. Ich bin dankbar, dass ich auch in den benachbarten Ländern noch so viel zu entdecken weiss, dass es auch nicht mehr nötig ist während Stunden in ein Flugzeug zu steigen.

Ein Grund für meine Reisen waren immer auch die Menschen aus anderen Kulturen, welche mich interessierten. Nun engagiere ich mich in meiner Freizeit unter anderem für die Integration von Flüchtlingen. Da komme ich mit Menschen aus verschiedensten Kontinenten und Kulturen in Kontakt. Das kompensiert einen Teil der oft sehr oberflächlichen Begegnungen auf den Reisen in ferne Länder. Noch immer bin ich neugierig, doch glaube ich, so eine ideale Alternative gefunden zu haben.

VT: Reisen ist für viele eine Art Statussymbol geworden. Je öfter, weiter, exotischer, desto besser. Wie reagiert dein Umfeld auf deine entschleunigte Art, unterwegs zu sein?

VK: Viele Menschen erwähnen in Bezug auf mein Verhalten immer das Argument, dass ich eben eine gewisse Sättigung erreicht hätte. In meinem Umfeld – vieles ehemalige FlugbegleiterInnen – sind jedoch sehr Viele aussergewöhnlich oft unterwegs und wenige können verstehen, dass ich relativ strikt bin. Ihr Verhalten zeigt mir, dass wir die innere Einstellung ändern müssen, denn Reisen ist eine Sucht. Es muss immer mehr sein und immer exotischer. Viele meiner Bekannten sind während Monaten pro Jahr unterwegs. Ich glaube also nicht an eine Sättigung. Ich denke, mein Verhalten beruht auf der Einsicht, dass ich mit Rücksicht auf kommende Generationen und in Anbetracht des Wissens, welches wir heute haben, eine Verantwortung habe. Diese empfinde ich jedoch nicht als grosse Einschränkung, denn ein Leben ohne Auto, und Ferien bzw. Freizeitaktivitäten in der näheren Umgebung oder in Europa sind ebenfalls bereichernd und interessant. Weniger kann auch mehr sein, ist meine Erfahrung.

VT: Wirst du manchmal von der Sehnsucht nach deinem alten Leben, nach der Ferne und dem Abenteuer gepackt? Welche Tricks hast du, um diesem Gefühl zu entkommen und dem Alltagstrott zu entfliehen?

VK: Sehnsucht habe ich schon ab und zu und dann weiss ich auch, dass es diese Sehnsuchtsorte teilweise gar nicht mehr gibt. Ich war ich Koh Samui als noch kein Hotel auf der Insel stand, ich war auf den Malediven, als alle Unterkünfte mit Palmwedeln bedeckt waren und beim Essen oder wenn ich aus dem Bett hüpfte Sand unter meinen Füssen zu spüren war. Ich war an Stränden, bevor diese jeden Morgen von angeschwemmtem Plastik gesäubert werden mussten und bevor das Hotelareal nur noch mit Sicherheitspersonal verlassen werden durfte. Wenn ich mir das vor Augen führe, kann ich relativ gut verzichten. Ein Abstecher ins Gasterntal oder in den Nationalpark, in ein Seitental des Tessins usw. kann den Alltagstrott gut unterbrechen. Wenn ich daran denke, welche Verantwortung wir gegenüber kommenden Generationen haben (das ist mir nun viel bewusster, seit ich mich für ein Kinoprojekt damit intensiv auseinandergesetzt habe), dann kann ich recht gut damit leben lokaler und ökologischer zu reisen.

VT: Welche Tipps hast du für Reisende, die gerne in die Ferne schweifen?

VK: Wichtig scheint mir, dass einmal längere Ferien pro Jahr sinnvoller sind als einige Kurzferien, speziell, wenn das Reiseziel weit entfernt ist. Um richtig eintauchen zu können in ein Land, braucht es Zeit – um «herunterzufahren» sowieso. Oft liessen sich Ferien so planen, dass wir mehr Distanz zum Alltag erhielten, und mehr Zeit hätten zum Eintauchen in eine andere Kultur. Wenn Sie reisen, nehmen Sie sich weniger vor. Ich habe früher immer möglichst viel sehen wollen in einem fremden Land. Heute denke ich auch da, weniger wäre mehr. Inzwischen habe ich festgestellt: Langsam Reisen ist für mich erfüllender und erholsamer.

Eine gute Vorbereitung würde ich in jedem Fall empfehlen. Ein Land zu bereisen, von dem wir etwas über die Bevölkerung, ihre wirtschaftliche Situation, ihre Sprachen und ihre Kultur wissen, ist interessanter, als wenn wir einfach mit einem Last-Minute-Angebot an irgendeinen Ort fliegen, von welchem wir nichts wissen. Beim Planen der Ferien haben wir auch Zeit uns zu überlegen, ob es Alternativen in der Nähe gibt. (Anm. Redaktion: Dabei behilflich sind kluge Reiseführer wie dieser hier.)

VT: Was hältst du von den Nachhaltigkeitsbestrebungen von Fluglinien? Swiss zum Beispiel setzt als erste Linienfluglinie in der Schweiz Sustainable Aviation Fuels (SAF) ein. Siehst du darin den Schlüssel zum nachhaltigen Fliegen?

VK: Ich bin froh, dass sich auch die Airlines darum bemühen die Umwelt weniger zu belasten. Fliegen ist jedoch ihr Geschäft. Wenn immer mehr Menschen immer nur das billigstmögliche Ticket kaufen, ist es darum schwierig Innovationen umzusetzen. Der Konsument, also der Fluggast hat somit ebenfalls eine grosse Verantwortung – genau wie der Aktionär, welcher die Gewinne in möglichst moderne und weniger umweltschädliche Fluggeräte oder eben in SAF investieren müsste. Das gilt nicht nur für die Swiss, sondern für die ganze Branche.

VT: Findest du Klimakompensation bei Flügen sinnvoll?

VK: Ich denke es ist sinnvoll, auch wenn ich zweifle, ob das Geld richtig investiert wird. Für mich ist Kompensation besser als nichts, doch Verzicht wäre das Gebot unserer Zeit. Für mich ist es eben auch eine günstige Art das schlechte Gewissen zu beruhigen.

VT: Wenn du nochmal jung wärst, würdest du wieder Flugbegleiterin werden? Für welchen Beruf würdest du dich heute entscheiden?

VK: Als Flight Attendant fühlte ich mich nicht verantwortlich für die Flüge, welche die Passagiere gebucht haben, doch meine privaten Reisen zähle ich heute zu den unnötigen Altlasten. Ich denke nicht, dass ich nochmals denselben Beruf wählen würde, weil der Beruf heute ein ganz anderer ist. Auch wenn ich mit Herzblut Maître de Cabine war, so hat sich die Welt und der Beruf so sehr verändert in den letzten Jahrzehnten.

Fünf Buchstaben fürs Reiseglück 

Gemächlich unterwegs sein, Lokales bevorzugen, Überraschungen zulassen, CO2-Ausstoss senken und einen korrekten Preis bezahlen. So zu reisen, führt bei Verena Keller zu nachhaltigem Glück. Das ist «Glück, das zu persönlichem, gemeinschaftlichem und globalem Wohlbefinden beiträgt und nicht die Umwelt, andere Menschen oder kommende Generationen schädigt.», Catherine O’Brien. Die fairunterwegs G.L.Ü.C.K.-Formel ist auch für deine Reise da.