Die Gleichstellung der Geschlechter im Tourismus und Gastgewerbe hinkt anderen Sektoren deutlich hinterher. Vor Covid-19 gab es jedoch einige Anzeichen dafür, dass in einigen Teilen des Gastgewerbes und in geringerem Maße auch bei Reiseunternehmen und -veranstaltern das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Maßnahmen unter dem Motto "Diversity and Inclusion" erwachte. EiT hat zum Beispiel über den Schritt von Accor berichtet, Frauen in leitende Positionen zu befördern. Dies als Teil seiner allgemeinen Bemühungen um mehr Vielfalt. Das Unternehmen ist stolz darauf, die von UN Women ins Leben gerufene "Koalition gegen geschlechtsspezifische Gewalt" anzuführen und hat sich verpflichtet bis 2025 den Anteil von Frauen in leitenden und geschäftsführenden Positionen um mindestens 40 % zu erhöhen. Es behauptet bis 2020 34% erreicht zu haben. Andere Quellen beziffern den Anteil auf 29 %. Equality in Tourism stellte in seinem Bericht "Sun, Sand and Ceilings" von 2018 fest, dass die Anzahl der Frauen im Vorstand zwischen 2013 und 2018 von 3 auf 7 erhöht wurde, aber auch die Anzahl der Männer stieg von 7 auf 10. Die neuesten Zahlen zeigen: 5 von 12 Mitgliedern des Vorstands sind Frauen und 5 von 19 Mitgliedern der Geschäftsleitung ebenfalls. Aber Zahlen sind nicht alles.  

Es zählt nicht die Strukturästhetik, sondern die Wirkung an der Basis

Die Schlüsselfrage ist, inwieweit eine erhöhte Geschlechterparität an der Spitze einen Wandel in allen Strukturen des Unternehmens bewirken kann, einschließlich der Zulieferer, Franchiseunternehmen und ausgelagerten Dienstleistungen und insbesondere in den Bereichen, in denen die Masse der Frauen in schlecht bezahlten, gering qualifizierten und gefährdeten Positionen zu finden ist, wie zum Beispiel im Housekeeping und in der Reinigung im Gastgewerbe sowie im Einzelhandel und in der Verwaltung im Reisesektor. Hier erzählt die Realität, verdeckt durch glamouröse Unternehmensaussagen und -bilder, oft eine andere Geschichte. Gewerkschaften wie die IUL berichten über Kampagnen gegen Rechtsverletzungen bei der Vereinigungsfreiheit, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch Covid-19 und die Einführung neuer Sicherheitskontrollen im Reinigungs- und Housekeepingbereich sowie Verbindungen zu Geschäftspartnern in Diktaturen wie Myanmar. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, weltweit, wie hohl die Behauptungen von Unternehmen zu Menschenrechten, Vielfalt und Gleichberechtigung in Führungspositionen klingen können.

Wir kennen den Begriff "Greenwashing" im Sinne eines Mitläufereffekts: Unternehmen benutzen das Schlagwort Nachhaltigkeit immer häufiger, um die Verkaufszahlen durch Marketing und Werbung zu steigern, ohne dass ein echter Wandel zu erkennen ist. Es besteht die Gefahr, dass dasselbe in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter geschieht. Ohne eine gesetzliche Verpflichtung, entsprechende Aussagen in extern geprüften Jahresberichten zu untermauern, wird es für Außenstehende, die an einem echten Strukturwandel interessiert sind, schwierig sein, die Gültigkeit der Behauptungen zu überprüfen.  

Der Weg ist noch lang: Packen wir’s an!

Jedes Unternehmen mit einem ethischen Kompass kann sich jedoch freiwillig dazu verpflichten Daten zur Gleichstellung der Geschlechter bereitzustellen, einschließlich Daten zur intersektionellen Gleichstellung, das heisst zu Diskriminierung und Unterdrückung, die über mehrere Dimensionen der Identität erfahren werden. Solche Berichte müssen für die Öffentlichkeit transparent sein und Gender-Mainstreaming-Aktionspläne für alle Bereiche des Unternehmens aufzeigen, einschließlich Zulieferer, Franchiseunternehmen und ausgelagerte Dienstleistungen, mit kurz- und langfristigen strategischen Zeitplänen für spezifische und klar messbare Ziele, Indikatoren und Ergebnisse. Sie müssen die Methodik der Maßnahmen, die Erfolge, aber auch die Herausforderungen bei der Umsetzung, eventuelle Rückschläge und deren Bewältigung beinhalten.

Das würde ein echtes Engagement widerspiegeln und nicht nur ein Werbeversprechen. Aber Berichte sind nur so gut wie die Maßnahmen vor Ort. Wir respektieren zwar die Komplexität des Unterfangens und begrüßen die Bemühungen und Erfolge der Unternehmen in Bezug auf Vielfalt und Inklusion, doch erst an der Basis zeigt sich, wo ihr Engagement Früchte trägt; dazu gehören eine angemessene und gleiche Entlohnung für gleichwertige Arbeit auf allen Beschäftigungsebenen, angemessene Arbeitsbedingungen unter Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte, die Ermöglichung einer flexiblen Work-Life-Balance und ein vollständiger Wandel der Kultur und Denkweise in der Organisation. Wir haben viel Arbeit vor uns und können es uns nicht leisten, uns von Covid aufhalten zu lassen.