"Mangroven sind lebenswichtig für uns. Wir können nur wegen ihres Fischreichtums überleben", sagt der 60-jährige Fischer Cham Khiaw-Nin aus dem Dorf Baan Nai Rai im Südwesten Thailands. Mangrovenwälder sind nicht nur exzellente Nahrungsmittelquellen, sie schützen die Küste auch vor Flutkatastrophen und Tsunamis. Mehr als zehn Jahre ist es nun her, dass ein verheerender Tsunami die Küsten Südostasiens heimsuchte. 220’000 Menschen verloren ihr Leben, 8’000 Menschen allein in Thailand.
Das Dorf Baan Nai Rai überlebte die grosse Flutwelle fast unbeschadet – dank des dichten Mangrovenwaldes an der Küste. "Die Mangroven haben die Welle aufgehalten", berichtet Cham dem katarischen Nachrichtensender al-Jazeera. Viele Häuser seien zwar zerstört worden, doch dank des dichten Waldes habe nur ein einziger Mensch sein Leben verloren, so Cham.
Tsunamis sind jedoch nicht die einzige Bedrohung, die die Menschen in der Region ausgesetzt sind. Nur wenige Wochen nach der Katastrophe konfrontierte ein privater Investor die Dorfbewohner mit einem Grundbucheintrag, der ihn als Besitzer des Mangrovenwalds und einen Teils des Dorfes auswies. Ginge es nach ihm, entstünde hier bald ein Ferienresort. "Das Land sollte nicht im Privatbesitz sein, die Urkunde ist unrechtsmässig", sagt Anwalt Suttipong Laithip, der die Interessen der Dorfbewohner vertritt. Seit Jahren protestiert die Dorfbevölkerung gegen die Privatisierung ihrer natürlichen Ressourcen. 2006 liessen sich hundert Dörfler auf eine Umsiedlung ihrer Häuser um einige Kilometer ein, wichen aber nicht zurück, als es um den Mangrovenwald ging. Doch 2013 entschied ein Gericht, der Investor habe das Land rechtmässig erworben. Die Dorfbevölkerung sucht seitdem nach neuen Beweisen, um Rekurs einzulegen.

Öffentliches Gut landet im Privatbesitz

Das thailändische Landministerium erachtet Mangrovenwälder zwar als schützenswertes öffentliches Gut, behält sich aber im Ausnahmefall vor, dennoch Privatbesitz zu vergeben. Dies betrifft vor allem jene Fälle, in denen das Land verkauft wurde, noch bevor dort Mangroven wuchsen. Im Falle Baan Nai Rai lassen sich mehrere Besitzerwechsel für die letzten dreissig Jahre nachweisen, und das obwohl die Dorfbevölkerung behauptet, der Mangrovenwald sei bedeutend älter. "Ich hab mein ganzes Leben hier verbracht", so Fischer Cham, "sogar meine Grosseltern wurden schon hier geboren und immer gab es hier Wald."
Seit Jahren bemüht sich Thailand erfolglos darum, Ordnung in seine veralteten Gesetze zum Landbesitz zu bekommen. Aktivisten zufolge hätten zahlreiche Firmen und einflussreiche Personen mittels Schmiergeldzahlungen Land unter ihre Kontrolle gebracht, besonders nach dem Tsunami. "Konflikte über Land gab es schon immer in Thailand", sagt Ravadee Prasertcharoensuk von der Stiftung für Nachhaltige Entwicklung, einer lokalen Nichtregierungsorganisation. "Und der Tsunami hat diese Situation noch einmal verschärft." Zwar ist das Recht der lokalen Gemeinschaften, ihren Traditionen gemäss zu leben, konstitutionell verbrieft, korrupte Strukturen verhindern jedoch die Umsetzung. Derzeit arbeitet die Militärregierung an einer neuen Verfassung, die laut Niran Pitakwatchara, Mitglied der nationalen Menschenrechtskommission, die Rechte der verschiedenen Gemeinschaften stärker schützen soll. "Zehn Prozent der reichsten Individuen besitzen achtzig Prozent des Landes in Thailand, während die Ärmsten über gerade mal 0,003 Prozent verfügen", so Pitakwatchara. Hier sei dringend ein Ausgleich nötig.
Ob die Mangroven von Baan Nai Rai eine Zukunft haben, ist weiterhin unklar. Fischer Cham Khiaw-Nin: "Wer weiss schon, was mit den Bäumen passiert, wenn wir umgesiedelt werden."

Dieser Artikel ist eine übersetzte und leicht gekürzte Fassung folgenden Artikels vom 25.12.14: Laura Villadiego: "The Thai village that escaped the tsunami"
http://www.aljazeera.com/indepth/features/2014/12/thai-village-escaped-tsunami-2014122495352737817.html