Schon Albert Einstein soll gesagt haben: "Das wahre Zeichen von Intelligenz ist nicht das Wissen, sondern die Vorstellungskraft." Was nun passiert, wenn Wissen und Vorstellungskraft in idealer Weise zusammenspielen, das zeigt Soziologe und Zukunftsarchitekt Harald Welzer in seinem neusten Werk "Alles könnte anders sein"*.

    Für eine gerechtere Gesellschaft kämpfen, Utopien entwickeln, auf die Strasse gehen: junge Menschen auf der ganzen Welt – bezeichnet als "Klimajugend" – machen uns vor, wie das geht. Und wir als typische Exemplare der Babyboomer-Generation können uns entscheiden, ob wir die Rolle der Spielverderber spielen (längst zu spät, träumt weiter!) oder uns anstecken lassen und die Anliegen der Jungen unterstützen. Bei der zweiten Option können wir an unsere eigenen Erfahrungen anknüpfen – die Schreibende zum Beispiel war gerade mal 17 Jahre alt, als 1972 der erste Bericht des Club of Rome mit dem Titel "Die Grenzen des Wachstums" erschien, und sie erinnert sich gut an die damaligen Kontroversen.  

    Diskussionen über die Endbarkeit der planetaren Ressourcen und über eine gerechte und nachhaltige Lebensweise begleiteten unsere Generation seit Jahrzehnten. Dieses Wissen wurde in zahlreichen Publikationen zusammengetragen, welche die Bibliotheken der Welt füllen, so auch unsere kleine Fachbibliothek. Letztes Jahr ist nun ein wichtiges Werk dazugekommen, das uns zum Handeln inspiriert. Laut Harald Welzer steuert unser (westlich geprägter) Turbokapitalismus auf den Kollaps zu, unser Problem sei nicht die Not, sondern der Wohlstand. Menschen entwickelten unentwegt neue Bedürfnisse und Wirtschaftszweige, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Alle wüssten zwar um die Gefahr fürs Klima, viele würden trotzdem zum Weihnachts-Shopping nach New York fliegen und die negativen Auswirkungen ausblenden. Welzer zeigt in diesem Buch aber keine Lust, nur zu kritisieren, er präsentiert auch keinen Masterplan zur Rettung der Welt. Er zeigt kleine Schritte auf, "konkrete Utopien", die – wie Legosteinchen zusammengesetzt – ein grosses Ganzes ergeben.

    Er präsentiert uns 17 Legosteine, mit denen wir alle eine neue Welt bauen können. Sein Buch ist eine Gebrauchsanweisung für eine realisierbare Zukunft. Auf der letzten Seite listet er "11 Merksätze zum neuen Realismus" auf. Die ersten drei davon können zum Schluss nicht vorenthalten werden:

    1. "Die fetten Jahre sind vorbei" kann als frohe Botschaft verstanden werden.

    2. Es ist alles schon da, nur falsch zusammengesetzt.

    3. Kleinstmögliche Zustandsveränderung kann jede und jeder.

    Viel Spass beim Lesen, Experimentieren und Bauen! 

    Harald Welzer: Alles könnte anders sein: eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen. S. Fischer Verlag, 2019, 319 Seiten. ISBN: 978-3-10-397401-0