Schwerpunktthema: Warum reisen?

    "Warum reisen?" fragt das Jahrbuch für Reise- und Tourismusforschung 1997, das der Kölner Verlag DuMont als erstes einer neuen Reihe vorlegt. Dem Reise-buchprogramm des Verlags soll mit wissenschaftlichen Jahrbüchern – bereits wird das Jahrbuch 1998 zum Bild der Fremde konzipiert – fortan ein Rahmen gegeben werden, der Fachleute zum Weiterdenken anregen soll. Denn die Tourismus-branche ist wissenschaftsfern, Tourismus fristet ein randständiges Dasein in der Wissenschaft selbst und die gelehrte Rede kündet vorab von den Schrecklich-keiten des Tourismus, hält Hasso Spode, der Herausgeber des ersten Jahrsbuchs, in der Einleitung fest. "Voyage" hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, eine fröhliche Wissenschaft zum Reisen begründen zu helfen. Tourismuswissenschaft als Glücksforschung! Abgesehen davon, dass die plötzliche Suche nach Fröhlichkeit, Glück und Sinneslust in der Wissenschaft nun doch leicht aufgesetzt und zwang-haft wirkt, besticht der vorliegende Sammelband durch eine gelunge Mischung von Beiträgen verschiedenster Form und Ausprägung: Literarische Betrach-tungen, harte Zahlen und Fakten, Ironie und Polemik, Ausflüge in die Geschichte des Reisens und des Tourismus, theoretische Abhandlungen, die komplexe Zusammenhänge neu beleuchten. So etwa der Beitrag von Heinz-Günter Vester, der die theoretischen Grundlagen der Soziologen Erving Goffman, Pierre Bourdieu und Immanuel Wallerstein einleuchtend zum Verständnis des Tourismus heranzieht – oder umgekehrt, den Tourismus einleuchtend mit wichtigen Ansätzen der Gesellschaftskritik verbindet. Positiv fällt auch der Einbezug des französischen Sozialwissenschafters Jean-Didier Urbain auf, dessen Rezeption im deutschen Sprachraum lange auf sich warten liess. Besonders spannend, nicht nur aus Schweizer Sicht, ist der Beitrag "Genuss im Überfluss" von Beatrice Schumacher, einer ehemaligen Mitarbeiterin des AkT&E, über die Entstehung des Massentourismus am konkreten Beispiel von Hotelplan. Anhand des Werdeganges des zum Lebensmittelverteiler Migros gehörenden Reiseunternehmens zeichnet sie das feine Zusammenspiel von Schaffung und Befriedigung von Reisebedürfnissen nach. Einen Blick über den deutschsprachigen Tellerrand vermitteln die Bespre-chungen neuer Werke aus der Tourismusforschung am Ende des Jahrbuchs. Zu hoffen bleibt, dass das eminente Forschungsgremium, das dem Jahrbuch vorsteht, künftig auch den Kreis der AutorInnen zu erweitern vermag, um neue Perspekti-ven – weshalb nicht aus Tourismusländern des Südens – einzubringen. Und dass die weniger fröhliche als anspruchsvolle Publikation ein interessiertes Publikum findet, das auch subtilere kritische Untertöne zu hören und vielleicht sogar einen Bogen zur touristischen Praxis zu schlagen vermag.
    DuMont Verlag, Köln, 1997; 199 Seiten; DM 39,90; ISBN 3-7701