Ausgangspunkt der Überlegungen von UNEP ist, dass Lehren aus der grossen Finanzkrise von 2007/08 gezogen werden müssen und "business as usual" keine Option ist. Die "neue" Grüne Ökonomie versteht sich deshalb als Alternative im Sinne eines nachhaltigeren und grüneren Wirtschaftens. Im Report "Wege zu einer Grünen Ökonomie" *) vom Februar 2011 rechnet UNEP hoch, was grüne Investitionen an positiven Effekten in Bezug auf Beschäftigung, Ressourcenintensität, Emissionenen und Umweltwirkungen insgesamt bringen könnten. UNEP schlägt zielgerichtete Investitionen in zehn Schlüsselsektoren vor (unter anderen Energie, Landwirtschaft, Stadtentwicklung, Wasser, Forstwirtschaft, Fischerei, Ökosystemschutz), die schnell und effektiv den Einstieg in eine grünere und armutsorientierte Entwicklung bringen sollen und belegt das mit Fakten und Modell-Berechnungen.
Mit jährlich 2 Prozent der derzeitigen globalen Wirtschaftsleistung (das sind 1’300 Milliarden US-Dollar) wären diese Investitionen zu finanzieren. Sie müssten durch ein Bündel von Massnahmen, Instrumenten und politischen Rahmenbedingungen begleitet werden.
Hier findet sich — allgemein und abstrakt, keineswegs länderbezogen — alles, was aus 40 Jahren Umweltpolitik an Instrumenten unter dem Stichwort ökologische Modernisierung und Marktwirtschaft firmiert. Der gesamte Policy-Mix aus Verboten, öko-sozialen Standards und ökonomischen Instrumenten, wie Steuern, Abgaben, handelbare Zertifikate, wird angeführt. Für die Rahmenbedingungen sind Regierungen verantwortlich, die darüber hinaus auch eine wichtige Vorbild- und Nachfragefunktion beim Einkauf nachhaltiger Produkte für staatliche Institutionen einnehmen sollten.
UNEP definiert Grüne Ökonomie als eine Wirtschaft, die zu grösserem Wohlstand und zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt und gleichzeitig ökologische Risiken und Ressourcenknappheiten verringern bzw. nachhaltig bewirtschaften hilft. Die Entkoppelung des Rohstoff- und Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum wird explizit als Ziel genannt, ungeachtet der Frage, ob dies überhaupt möglich ist.
"In einer ökologischen Marktwirtschaft geht es nicht darum, Wachstum und Wohlstand zu bremsen, sondern vielmehr um eine Neubesinnung darauf, was wahrer Wohlstand bedeutet", so Pavan Sukhdev, der Leiter der Green Economy Initiative des UNEP, der für diese Aufgabe von der Deutschen Bank abgestellt wurde.
UNEP will vor allem bei Regierungen im globalen Süden mit dem Vorurteil bzw. Mythos aufräumen, dass Umweltinvestitionen auf Kosten des Wirtschaftswachstums gingen und Ökologie und Ökonomie im Widerspruch zueinander stünden. Gründe Ökonomie sei eben kein Luxus, den sich nur reiche Industrieländer erlauben können, sondern ein Wachstumstreiber. Bild: Josst J. Bakker, 2009 / wiki commons
Hervorzuheben sind die Forderungen und Empfehlungen der Green Economy Initiative, mehr in die sogenannten Ökosystemdienstleistungen zu investieren. Dieses "Naturkapital" gelte es laut UNEP für die Grüne Wirtschaft zu heben. Dabei handelt es sich um die schon etwas ältere Idee, dass der Schutz von Ökosystemen und biologischer Vielfalt besser gelingt, wenn deren Nutzung etwas kostet. Weil die öffentlichen Kassen nach den Finanz- und Wirtschaftskrisen der letzten Jahre onehin leer seien, brauche es zudem weitere marktwirtschaftliche Anreize für den Privatsektor, um in den Umwelterhalt zu investieren.
UNEP hat selbst den Anspruch erhoben, eine Alternative zum "business as usual" vorzulegen. Das ist jedoch mitnichten der Fall. Ein grünes Investitionsproramm ist noch lange kein Paradigmenwechsel. Umgesetzt wie vorgeschlagen wäre es gleichwohl ein wichtiger Schritt nach vorne. Ein Konsens besteht darüber jedoch keinesfalls. Regierungen der Industrieländer fühlen sich offensichtlich durch den UNEP-Vorschlag nicht wirklich angesprochen. Er wird als Programm für den globalen Süden betrachtet. Und die Regierungen des Südens reagieren auf das Konzept ganz unterschiedlich: Während die einen darin eine Chance sehen, betrachten es andere als neue Zumutung eines umweltpolitische begründeten Protektionismus, ein altbekannter Vorwurf.
Innerhalb der Zivilgesellschaft ruft das Konzept ebenfalls heftige Kontroversen hervor. Es bestehen weltweit die grundsätzlichen Bedenken, dass Grüne Ökonomie kein Konzept für eine tatsächliche Transformation des Wirtschaftssystems ist, weil die Grundannahmen der liberalen Wirtschafts- und Entwicklungstheorie wie Freihandel und Wachstum unangetastet bleiben.
Die kritisierten Defizite des UNEP-Konzeptes sind vielfältig.
Der wachstumsfördernde Charakter grüner Investitionen wird explizit herausgestellt und leider zu sehr als der Ausweg aus der fossilen Sackgasse dargestellt. Über Umwelttechnologien und eine ressourceneffiziente Wirtschaftsweise soll der Kapitalismus zukunftsfähig gemacht werden. Und das Grüne-Ökonomie-Konzept à la UNEP enthält nichts, was die (Welt)-Wirtschaft revolutionieren könnte: keinen Ansatz, der die zentralen makroökonomischen Parameter (Geld- und Währungspolitik, Handelspolitik) in eine öko-soziale Richtung transformiert. Auch wird die soziale Dimension fast ausschliesslich im Kontext des Arbeitsmakts und der potenziellen Armutsminderung gesehen. Soziale und politische Rechte umfassen aber weit mehr. Ebenso ist die Geschlechterblindheit in einer solchen zentralen UN-Publikation nicht hinzunehmen.
Es handelt sich hier also insgesamt um keine Strategie, wie wir in den Grenzen des Planeten bleiben und gleichzeitig das Wohlergehen aller Menschen organisieren können. Bild: Frits Ahlefeldt - flickr/creative commons. Ahlefeldt ist Illustrator in Kopenhagen bei HikingArtist.com
Einem Report, der sich als wesentlicher Input für Rio plus 20 sieht, wäre eine klare Positionierung zu wünschen gewesen, wie sich die Definition einer Grünen Ökonomie klar von der nicht-nachhaltigen, schmutzigen und schädlichen Ökonomie abgrenzt. Zu viele De-facto-Politiken, die sich als Auswege aus der Energie- und Ressourcenkrise darstellen, präsentieren sich als "grün" oder Klima schonend: Atomkraft, "grüne" Gentechnik, Agrotreibstoffe nennen sich auch gerne Biotreibstoffe usw.
Widersprüche zwischen dem Handelsregime und dem ökologischen Umbau werden nur ansatzweise betrachtet. Wie das gegenwärtige internationale Finanzsystem radikal reformiert werden müsste, um den Zielen einer grünen, nachhaltigen und armutsorientierten Entwicklung zu entsprechen, wird gar nicht in den Blick genommen oder gar mit Vorschlägen bedacht.

UNEP propagiert marktbasierte Instrumente wie den Emissionshandel oder REDD (vgl. SWM 1-2/12, S. 11) fast schon als Allheilmittel. Sie sind aber, was ihre ökologische und soziale Wirkung betrifft, längst in der Kritik — grundsätzlich und was deren konkrete Ausgestaltung angeht. Die schärfste Kritik hebt hervor, dass natürliche Ressourcen vermarktet werden, um sie für die Privatwirtschaft attraktiv zu machen und sie so der kommerziellen Ausbeutung preiszugeben. UNEP nennt auch die Inwertsetzung der sogenannten Umweltdienstleistungen. Diese wird sogar von einigen Regierungen (etwa der bolivianischen) und zivilgesellschaftlichen Organisationen heftig angegriffen. Statt Ressourcen gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung gegen kommerzielle Interessen zu schützen, so der Vorwurf, würde Natur in Ware umgewandelt und nicht selten die lokale Bevölkerung vertrieben.
Noch relativ wenig beachtet ist die Tendenz, alle Arten von Ressourcen in handelbare Güter zu verwandeln und auch Böden, Wasser, Wälder noch mehr in monetäre Kreisläufe einzubinden und sie über den Finanzmarkt zu handeln und Spekulationen auszusetzen. Gerade diese Entwicklung erfordert eine ausführliche und differenzierte Debatte — differenziert deshalb, weil es für die Suche nach Lösungen aus der Klima-, Ressourcen- und Armutskrise wenig nutzt, gleich alle Ansätze zur Grünen Ökonomie und alle marktbasierten Instrumente in Bausch und Bogen als "Greenwashing", als grünen Kapitalismus oder Wolf im grünen Schafspelz abzutun, wie das im Vorfeld der Rio-Konferenz immer lauter zu hören ist.

*) UNEP: Towards a Green Economy — Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication, Nairobi 2011. Download: www.unep.org/greeneconomy


Der Beitrag von Barbara Unmüssig erschien im Südwind-Magazin vom April 2012. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Barbara Unmüssig ist Vorstandsmitglied der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung und Mitherausgeberin von W&E.

Dieser Artikel erscheint in Zusammenarbeit mit dem Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung. Die ungekürzte Version des Textes ist im W&E-Hintergrund März 2012 erschienen.