Grundsätzlich schätzt Kabinenchefin Endrich ihre Arbeitgeberin. Dass die Swiss jetzt trotz Gewinnen die Arbeitsbedingungen des Kabinenpersonals verschlechtern will, stösst ihr aber sauer auf. Nina Endrich hat zwei Teilzeitberufe. Als Kabinenchefin (Maître de cabine) leitet sie auf Lang- und Kurzstreckenflügen der Swiss Teams von Flight-Attendants. Als Vorstandsmitglied der Gewerkschaft des Kabinenpersonals (Kapers) ist sie zuständig für die Bereiche Arbeitsplatz, Gesundheit und Sicherheit.
Den Lohn erhält sie auch als Gewerkschafterin von der Swiss. Diese zahlt der Kapers pro Jahr insgesamt 1800 Tage Vorstandsaufwand. Endrich sagt: "Grundsätzlich haben wir ein gutes Verhältnis mit unserem Arbeitgeber. Wir können konstruktiv miteinander reden."

Ziemlich frech

Allerdings ist das Verhältnis zurzeit belastet. Mit über achtzig Prozent der Stimmen hat die Kapers-Basis den neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) abgelehnt, den ihr Vorstand mit dem Swiss-Management ausgehandelt hat. Endrich: "Unsere Mitglieder sagen, dass die Swiss in den letzten Jahren viel zum Gesamtgewinn der Lufthansa beigetragen habe. Jetzt wollen wir davon etwas zurückbekommen.
Aber die Swiss bot im neuen GAV, der auf Mai 2015 in Kraft treten soll, statt des längst fälligen 13. Monatslohns bloss eine Erfolgsbeteiligung von 2 bis 8 Prozent des Jahresgehalts. Zu unsicher, befand die Belegschaft. Ausserdem: Der Einstiegslohn soll weiterhin bloss 3400 Franken betragen. Die Ferienregelung soll verschlechtert werden. Und es ist keine genügende Entlastung im Bereich der Arbeitsbedingungen vorgesehen. "Hart sind insbesondere die Flüge nach Singapur und Miami. Nachtflüge mit bis zu 15 Stunden Präsenzzeit und dem Rückflug bereits nach 24 Stunden", macht Endrich deutlich. Im Kurzstreckenbereich gebe es Sechstageeinsätze teilweise mit Elfeinhalb-Stunden-Tagen, während deren zwei Hin- und Rückflüge absolviert würden.
Weil die Mitglieder der Kapers dieses GAV-Angebot ablehnten, hat die Swiss den geltenden Vertrag gekündigt und will Neueinstellungen ab sofort mit Einzelarbeitsverträgen nach den Bedingungen des abgelehnten Entwurfs vornehmen. "Das ist ziemlich frech und fördert das Vertrauen ins Management nicht." Trotzdem will auch Kapers in der nächsten Verhandlungsrunde zu einem mehrheitsfähigen neuen GAV kommen. "Ich hoffe, dass sich die Swiss deutlich bewegt und anerkennt, was das Kabinenpersonal täglich leistet."

800 Mal Grüezi

Nina Endrich erklärt: "Oft werden Flight-Attendants nur als Servicepersonal im Flugzeug wahrgenommen. Aber das ist falsch." Denn: "Unsere Passagiere haben Ansprüche, Sorgen und ab und zu auch gesundheitliche Probleme." Manchmal solche, bei denen es plötzlich um Leben und Tod gehen kann. Darum können Flight-Attendants zum Beispiel Geburtshilfe leisten oder mit dem Defibrillator umgehen, dem Schockgerät, das Herzen wieder zum Schlagen bringt. Endrich: "Wir betreuen auch allein reisende Kinder. Und im Kurzstreckendienst, mit vier Flügen, begrüssen, bedienen und verabschieden wir pro Tag bis zu achthundert Menschen."
Ausgebildet sind Flight-Attendants zudem in der Brandbekämpfung und für alle denkbaren Notfallsituationen: "Was ist zu tun, wenn ein Triebwerk ausfällt? Wenn es zu einem Druckabfall in der Kabine oder zu einer Notlandung kommt? Wie kann man im Wasser überleben? Wie im Dschungel, welche Lebensmittel finde ich dort?"
Oder was tut man, wenn Passagiere aggressiv werden? Endrich erzählt von zwei grossen Männern, die während eines Flugs drauf und dran waren, mit den Fäusten aufeinander einzuschlagen, und davon, wie sie als Kabinenchefin dazwischen ging. Sie erzählt von randalierenden Fussballfans, die nach der Landung von der Flughafenpolizei abgeführt wurden. Für solche Fälle sind Flight-Attendants seit einigen Jahren auch darin ausgebildet, Menschen zu überwältigen und mit Handfesseln zur Vernunft zu zwingen.
Zwar hat sie in ihren bald zwanzig Berufsjahren von Männern kaum sexistische Übergriffe erlebt. "Aber es gibt Männer, die sich von ihrer Kultur her von Frauen nichts sagen lassen wollen. Und es gibt immer öfter ‹unruly passengers›, Passagiere, die uns beleidigen und beschimpfen – etwa wenn sie vor Start oder Landung die elektronischen Geräte ausschalten oder sich bei schweren Turbulenzen anschnallen sollen." Nina Endrich spricht offen und ungeschönt über die Probleme ihres Berufs. Nicht, dass sie genug hätte – im Gegenteil: "Meine Eltern arbeiteten beide für die Swissair. Ich war schon als kleines Kind regelmässig in Flugzeugen unterwegs und wollte immer Stewardess werden. Fliegen bedeutet für mich Faszination pur. Die fernen Länder, der spezielle Lebensstil, das Unvorhersehbare. Jeden Tag dieser Reiz: Was erlebe ich wohl heute?"