Basel, 25.09.2009, akte/
Was verbindet das Entlebuch mit Prainha do Canto Verde?
Vom Schutz-Konzept her ist es das Gleiche: Es sind nicht einfach Pärke mit Pflanzen und Tieren, sondern es geht um die Menschen, die das Land nachhaltig nutzen. In Brasilien gibt es das schon länger als in der Schweiz. Der Kautschukzapfer, Gewerkschafter und Aktivist, Chico Mendez, ist Vater der Idee. 1977 gründete er die Kautschukzapfergewerkschaft, die sich starken ökonomischen Interessen von Viehzüchtern und Holzindustrie entgegenstellte und für die Erhaltung der Wälder als Lebensgrundlage der Kautschukzapfer bzw. der Castanheiros (Sammler von Paranüssen) eintrat. 1988 wurde er erschossen, aber seine Idee setzte sich durch. 1990 errichtete die Regierung den ersten solchen Park, die „Reserva extractivista Chico Mendes“. Als Extraktivismus bezeichnet man die Bewirtschaftungsform von Naturlandschaften, aus denen Produkte entnommen werden, ohne die natürlich vorkommende Artenzusammensetzung zu stören. Solche Reservate schützen nicht nur Land-, sondern auch Meergebiete. Die Regierung übergibt aufgrund ihrer Anfrage einer Gruppe von Leuten das Land zur nachhaltigen Verwaltung: Indigenen, oder Quilombolas (geflüchtete Sklaven, die eigene Siedlungen errichtet haben) oder eben den Jangadeiros, den traditionellen Fischern, wie in Prainha do Canto Verde. Am 5. Juni 2009 erliessen Staatspräsident Lula da Silva und Umweltminister Carlos Minc die Verordnung für die Errichtung eines Extraktivismusreservats in Prainha do Canto Verde. Der Tourismus muss sich sowohl im Entlebuch wie bei uns in dieses  Konzept einordnen.

Wo liegen die Unterschiede?
Im Entlebuch standen nach der Annahme der schweizerischen Moorschutzinitiative plötzlich die Hälfte der Fläche unter Schutz, was die Bevölkerung verunsicherte. Es musste nach einer für Moorschutz und Bevölkerung tragbaren Lösung gesucht werden, worauf ein Regionalmanagement eingesetzt wurde mit dem Resultat eines Biosphärenreservats als optimale Lösung für die Region. In Prainha wehrte man sich gegen die Ausbeutung von Land und Leuten durch Bodenspekulanten sowie illegale Fischer. In Prainha geht es um ein Dorf, im Entlebuch sind es acht Gemeinden, da sind ganz andere Kooperationen und Vernetzungen möglich. Entsprechend ist auch das unter Schutz stehende Gebiet im Entlebuch grösser. Im Entlebuch gibt es Industrie, bei uns nur eine kleine Werft und Schreinerwerkstatt. Wir sind abhängig von der Fischerei und vom Tourismus mit etwas Handel der sich aber auch um diese zwei Achsen dreht. Besonders bei uns ist, dass ein grosser Teil des Reservates im Meer liegt. Und wir stehen erst am Anfang: Jetzt müssen wir den Umsetzungsplan erarbeiten. Das Entlebuch hat ja schon 2001 und vorher damit begonnen und seither schon sehr viel an lokaler Vernetzung und Synergieeffekten für die lokale Wirtschaft gewonnen.

Was können die beiden Reservate von einander lernen?
Interessant fand ich, wie im Entlebuch die Bildungsarbeit gemacht wird. Es gibt eine eigentliche Biosphärenschule mit Kursen und Exkursionen für ganze Schulklassen. Und es gibt Lehrgänge und -mittel für die eigenen Schulen im Entlebuch. Wir arbeiten auch auf die Bildung der Jugend hin, aber in viel kleinerem Rahmen. Das ist ausbaubar; wir möchten aus Prainha do Canto Verde ein eigentliches Bildungszentrum für Nachhaltige Entwicklung machen. Beeindruckt hat mich auch, wie im Entlebuch die Geschichte des Ortes bewertet, aufgewertet und den Gästen präsentiert wird. Bei uns ist ein Gruppe von Lehrern und Schülern daran die Dorfgeschichte zu dokumentieren für ein zukünftiges Dorf- und Fischerei Museum. Was das Biosphärenreservat Entlebuch von uns lernen will, müssen sie selber beantworten, aber ich denke, in Sachen internationaler Vernetzung sind wir ihnen etwas voraus.

Was bleibt von diesem Besuch?
Wir wollen nochmals zurückkommen mit Leuten aus dem Dorf. Wenn möglich soll der Austausch weitergehen. Wir würden uns auch freuen über einen Gegenbesuch. Später könnte vielleicht einmal ein Jugendlicher aus Prainha do Canto Verde als Stagiaire ins Biosphärenreservat Entlebuch kommen und umgekehrt. Ausserdem: Der Gastrobereich ist im Entlebuch sehr stark, und die lokal produzierten Nahrungsmittel werden in den Gastrobetrieben in Wert gesetzt. In Prainha do Canto Verde sollen in nächster Zeit die auf traditionelle Weise gefangenen Langusten mit dem Label des Marine Stewardship Council ausgezeichnet werden. Vielleicht könnten die Gastropartner des Biosphäre im Entlebuch auch TO DO!-Partner und Kunden werden und ihren Gästen solche MSC-zertifizierten Langusten aus unserem Dorf anbieten.
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