Ob Favelas in Rio, Townships in Südafrika oder Obdachlosenunterkünfte in der Schweiz – touristische Rundgänge durch die Lebensräume der Armen erfreuen sich wachsender Beliebtheit.
Nicht allen ist wohl dabei. Manche Reisende fühlen sich als Gaffer, manche Slumbewohner ausgenutzt und blossgestellt. Die Veranstalter machen geltend, sie möchten die Vorurteile der BesucherInnen gegenüber armen Menschen überwinden helfen. Unter welchen Umständen sind solche Besuche vertretbar oder sogar hilfreich, was gilt es zu vermeiden?

Unser Tipp: genau hinschauen!

Nicht zu empfehlen sind Rundfahrten oder -gänge, auf denen die dort wohnenden Menschen wie touristische Attraktionen besichtigt werden. Die Reisenden tauchen kurz in eine für sie "exotische" Lebensrealität ein und knipsen "authentische" Fotos, wollen aber nichts von den Betroffenen selber hören. Wer so reist, nimmt die Menschen weder wahr noch ernst. Arme sind nicht einfach ein Volk mit einer anderen Kultur. Ihre Armut hat eine Geschichte, hat politische, menschenrechtliche und andere Ursachen.
Es gibt jedoch Angebote, die Brücken schlagen zwischen den Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, und den meist gesellschaftlich gut etablierten Reisenden. So erzählen obdachlose Tourguides bei "sozialen Stadtrundgängen" in Basel und Zürich, warum sie ihre Unterkunft verloren haben, wie sie ihr Leben bestreiten und wonach sie streben. Als Tourguides erhalten sie einen Lohn. Die Verdienstmöglichkeit, die Tagesstruktur und das Interesse an ihrer Lebenssituation schaffen Selbstvertrauen. Die TeilnehmerInnen solcher Rundgänge hören beeindruckende Geschichten und erfahren, wie klein der Schritt vom "normalen Leben" in die Armut sein kann. In Dharavi (Indien), das durch den Film "Slumdog Millionaire" berühmt geworden ist, hat der Veranstalter eine Organisation gegründet, die 80 Prozent des Gewinns aus ihren Rundgängen für die Verbesserung der Lebenssituation der SlumbewohnerInnen verwendet.

Folgende Merkmale zeichnen seriöse Touren aus:

  • Die Menschen, deren Lebensraum besichtigt wird, gestalten den Rundgang mit und profitieren davon als Tourguide, Auskunftsperson oder als Anbieter eines Snacks und/oder sie werden am Gewinn beteiligt.

  • Der Rundgang ist mit den Betroffenen im Besichtigungsgebiet genau abgesprochen. Das ist auch aus Sicherheitsgründen wichtig.

  • Die OrganisatorInnen und insbesondere die Tourguides kennen den Ort sehr gut, sind mit ihm verbunden und haben viele Kontakte. Eventuell kommen sie selber aus bescheidenen Verhältnissen und wissen, was gewisse Verhaltensweisen der Reisenden auslösen können. Mit ihren Kenntnissen über die Hintergründe der Armut vermögen sie Vorurteile auszuräumen. Die Tourguides sind ausgebildet und können mit unpassendem Verhalten oder Reaktionen von TeilnehmerInnen der Rundgänge umgehen.

  • Für die Tour gibt es klare Regeln, die mit den Kontaktpersonen oder den Autoritäten vor Ort abgesprochen sind. So kann z.B. Fotografieren, das Betreten von Gebäuden ohne Erlaubnis, Gaben an Bettler oder Trinkgeld nicht erlaubt sein. Die Gruppengrösse ist möglicherweise beschränkt und die BesucherInnen müssen sich an die Route halten. Eventuell dürfen sie nicht alle Personen befragen. Anklagende oder blossstellende Fragen sind selbstverständlich untersagt.

  • Es wird transparent ausgewiesen, was die Tour kostet und wer wie viel von den Einnahmen bekommt. Die Anstellungsbedingungen für die Tourguides und die Bezahlung von Auskunftspersonen und Dienstleistern vor Ort sind fair und klar geregelt. Einige Veranstalter gründen eigene Organisationen, die mit dem Gewinn Projekte realisieren, um die Lebenssituation der Armutsbetroffenen zu verbessern.