Melanzane alla parmigiana, Pita, Salada de polvo, Couscous und Panna cotta: Das sind nur fünf von dreissig Gerichten, die die Unia zusammengestellt hat. Rezepte von Mitgliedern und Mitarbeitenden, für Mitarbeitende: "I sapori di Unia", die Würze der Unia.
Die grösste Gewerkschaft der Schweiz zählt 200’000 Mitglieder und 169 Nationalitäten. Ein kleines Universum. Unia-Co-Präsidentin Vania Alleva, selber eine Seconda, schreibt im Vorwort: "Einst waren die Italiener am zahlreichsten, jetzt sind es die Portugiesen." Auch bei den 1’300 Angestellten der Unia spiegeln sich die vergangenen Wellen der Migration in die Schweiz. Zum Beispiel Jeyagopy Jashinthan von der Unia-Arbeitslosenkasse in Chur: Sein Vater, ein Flüchtling aus Sri Lanka, kam 1989 in die Schweiz und erhielt Asyl. Damals tobte auf der südindischen Halbinsel der Bürgerkrieg zwischen den Tamilen und den Singhalesen. Sohn Jashinthan hat den roten Pass und kocht gerne srilankisch. Im Unia-Kochbuch präsentiert er das typische Kothu Rotti. Oder Bruna Campanello. Auch die Unia-Co-Leiterin des Sektors Gewerbe ist eine Seconda. Ihr Vater kam 1957 als sizilianischer Schuhmacher in die Schweiz. Campanello kocht Melanzane alla parmigiana mit Mozzarella di bufala.

Hubachers Spaghetti

A propos Mozzarella: Erinnern Sie sich noch an die Schweizer Pizza? An diese zähe Kuchenteigwähe, die mit dicken Scheiben saftender Tomaten belegt und mit Emmentaler oder Greyerzer überbacken war? Dann müssen Sie über 45 Jahre alt sein! Und haben die Zeit miterlebt, als es in der Schweiz noch kein Olivenöl gab. Niente Mozzarella, Parmesan, Espresso, Panettone und auch keine Pelati. Damals trank die Schweiz durchsichtigen (Melitta-)Filterkaffee, ass bäuerlich schwer (Kohlrabi an einer weissen Mehlsauce), viel Anken und Rahm, Züpfe, Sauerkraut, Rüebli und Chabis, Kartoffeln. Ab und zu vielleicht Ravioli aus der Büchse oder Tomatenspaghetti mit Tomatenpuree (dieses kleine rote Büchsli von Hero!). Das Spaghettirezept seiner Grossmutter beschreibt der ehemalige SP-Präsident Helmut Hubacher in seinem Buch "Tatort Bundeshaus" so: "Man nimmt Spaghetti, legt sie ins Salzwasser, mischt Tomatenpuree und geriebenen Käse hinzu und kocht das Ganze etwa eine Stunde ‹pludderweich›." Kein Wunder notiert Hubacher: "Der Eintopf schmeckte scheusslich."

La dolce vita

Die Zürcher Historikerin Sabina Bellofatto, auch eine Seconda, erforscht den Einfluss der italienischen Migration auf die Essgewohnheiten in der Schweiz. Ihr Fazit: "Mit der italienischen Einwanderung kam es darum nicht automatisch zur Verbreitung der italienischen Küche, weil die wachsende Fremdenfeindlichkeit sie bremste." Zwar hätten sich italienische Produkte parallel zum Einwanderungsboom ab den 1950er Jahren schnell verbreitet. Doch gleichzeitig begann ein Teil der Schweizer Bevölkerung insbesondere zwischen 1960 und 1970, die "Tschinggen" als Bedrohung zu empfinden. Mit seiner fremdenfeindlichen Politik schürte der Rechtspopulist James Schwarzenbach die "Angst vor der Überfremdung".
Auf ein bisschen Italianità wollten die Schweizerinnen und Schweizer aber nicht verzichten. Schliesslich konnten es sich inzwischen immer mehr Familien leisten, in Italien Ferien zu machen. Ab Mitte der 1950er Jahre entwickelte sich der Massentourismus nach Italien. Rimini und Riccione an der Adria wurden zum Inbegriff moderner Badeferien für die Schweizer Familie. Der Lebensmittelhandel in der Schweiz habe die "Dolce Vita" und die Ferienerinnerungen aufgenommen, um seine Produkte besser vermarkten zu können, so Historikerin Bellofatto. Plötzlich hiessen die Produkte bei der Migros "Sugo", "Cara mia" oder "Napoli", sie wurden aber in der Schweiz hergestellt. Die Schweizer Produkte und die Schweizer Küche wurden damals nur ein wenig italianisiert. Mit der Assoziation "Italien" verkauften sie sich besser, hatten aber mit der italienischen Küche wenig zu tun. So musste das erste italienische Kochbuch der Schweizer Nationalköchin Betty Bossi noch 1987 erklären, was Olivenöl und was Mozzarella sei. Die Produkte der eingewanderten Italos fanden sich allmählich auch in den Schweizer Küchen.

Panettone im Supermarkt

Heute belegt die Schweiz beim Pastaessen den dritten Platz hinter Griechenland und Italien. Und viele unserer Teigwaren heissen nicht nur italienisch, sie sind auch aus Italien: aus Hartweizen hergestellt und ohne Eier. Die mediterrane Küche ist zu unserer eigenen Küche geworden. Olivenöl statt Butter und Schweineschmalz helfen auch dem Herzen, gesund zu bleiben.
Zum Durchbruch der Küche des Südens beigetragen haben auch die vielen Pizzerie, die Anfang der 1970er Jahre und wieder in den 1980ern wie Pilze aus dem Boden schossen. Dieser Boom hatte auch mit der Stabilisierung der Aufenthaltsbewilligungen für italienische Arbeitskräfte zu tun. Italienische Lebensmittelläden und Restaurants hingegen eröffneten die Einwanderer bereits während der ersten Migrationswelle. Zuerst als Einkaufsmöglichkeit und Treffpunkt für die Migrantinnen und Migranten selber. So zum Beispiel das älteste Restaurant Zürichs, das "Cooperativo", das seine Türen bereits 1906 öffnete. Das "Copi" war erst Treffpunkt der antifaschistischen Migration, dann Versammlungsort der Schweizer Linken und der Gewerkschaften. Jene 68er, die sich nach Italien orientierten, taten das Ihre, um Pasta und Chianti (jenen in der Korbflasche) zu verbreiten. Zusammen mit den Canzoni von Lucio Dalla mundeten sie noch besser.
Zuwanderung geht durch den Magen. Das zeigt sich auch an den Regalen im Coop und in der Migros. Irgendwann wanderten die italienischen Spezialitäten vom Italo-Laden direkt in den Supermarkt. Jetzt vor Weihnachten türmen sich dort Berge von Panettone. Was also wäre die Schweiz ohne Pizza und Pasta? Ohne Kebab, Feta, Falaffel, Paella, Thai-Curry und ohne Frühlingsrollen? Zuwanderung und Ferien sei Dank, frisst der Schweizer Bauer inzwischen auch, was er nicht kennt. Und die Bäuerin erst recht.