
Wasser in der Schweiz: Eine Frage der Verteilung
Wie wirkt sich der Klimawandel auf die intensiv genutzten, trockenen Täler der Alpen aus? Diese Frage beschäftigt auch die Region Crans-Montana und Siders. Denn ein Teil dieser Region zählt zu den niederschlagsärmsten Zonen der Schweiz – und gerade dort gibt es viele Akteure, die grosse Mengen Wasser benötigen: das Kraftwerk Lienne mit dem Stausee Tseuzier, die Tourismusorte für die Trinkwasserversorgung, die Landwirtschaft für die Bewässerung des Graslands und die Skigebiete für die Beschneiung der Pisten. Umso dringender stellt sich deshalb die Frage, ob und wie die Region in Zukunft ihren Wasserbedarf decken wird, zumal der Plaine-Morte-Gletscher, der für die Wasserversorgung der Region eine wichtige Rolle spielt, spätestens Ende des Jahrhunderts vollständig geschmolzen sein wird.
Die Menge ist nicht das Problem
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bern haben nun zusammen mit Forschenden der Universitäten Freiburg und Lausanne verschiedene Szenarien erarbeitet, um diese Frage zu klären. Dabei untersuchten die Forschenden zunächst, wie das hydrologische System in der Region funktioniert. Aufgrund der regionalen Klimaszenarien kann man davon ausgehen, dass in den höheren Lagen künftig ähnlich viel Niederschlag fallen wird wie heute. "Die Region Crans-Montana wird auch in Zukunft insgesamt genügend Wasser zur Verfügung haben", sagt Rolf Weingartner vom Geographischen Institut der Universität Bern. "Allerdings wird sich die Verteilung verschieben. Insbesondere im Sommer wird künftig weniger Wasser vorhanden sein, und in einzelnen Jahren kann es zu Trockenheit kommen. Die Herausforderung besteht also darin, die vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen." Dies wird nicht ganz einfach sein. Die grossen Wasserverbraucher haben alle ihre Bedürfnisse, und wie ihre teilweise gegensätzlichen Interessen bei akutem Wassermangel ausgehandelt werden sollen, ist unklar. Hat die Landwirtschaft Vorrang, damit sie ihre Felder bewässern kann? Oder der Golfplatz, der für den Tourismus wichtig ist? Oder die Elektrizitätswirtschaft, die das Wasser für die Stromerzeugung nutzt?
Elf Gemeinden
Erschwerend kommt dazu, dass es nicht nur verschiedene Wasserverbraucher gibt, sondern dass sich das Einzugsgebiet über elf Gemeinden erstreckt, die sich in unterschiedlichen Ausgangslagen befinden. Während die Gemeinde Icogne zum Beispiel über sehr viel Wasser verfügt, besitzen andere Gemeinden nicht einmal eine Quelle. "Wir konnten in unserem Projekt zeigen, dass es ein regelrechtes Geflecht von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen gibt, wie das Wasser unter den Gemeinden aufgeteilt wird", sagt Weingartner. "Unter den heutigen Bedingungen ist dies kein Problem. Doch wenn das Wasser künftig in den Sommermonaten knapp wird, fällt es mit einem solch unübersichtlichen Regelwerk schwer, eine faire Verteilung sicherzustellen."
Die Forscher haben bereits vor dem Projektstart den Kontakt zur Region gesucht. In einer Gruppe fanden sich die verschiedenen Akteure zusammen: Die Politik, die Tourismusbranche und die Landwirtschaft waren genauso vertreten wie die Kraftwerkbetreiber und die Umweltverbände. "Die lokalen Vertreter wurden vorbildlich einbezogen", lobt Alain Perruchoud, der sich als Vertreter von Sierre-Energie engagierte. Die Forschenden haben zusammen mit der Gruppe vier Szenarien zur Regionalentwicklung erarbeitet und diese auf ihre Nachhaltigkeit hin bewertet. "Die Auswirkungen des gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels werden die künftige Wassersituation viel stärker prägen als der Klimawandel", bilanziert Weingartner. Für Perruchoud eine gute Nachricht: "Wir werden in den nächsten Jahren keinen Wassermangel haben, aber wir müssen die Verteilung besser regeln. Wir haben es also selber in der Hand, dieses Problem zu lösen."
Politische Entscheide
Seiner Ansicht nach ist es nun in erster Linie die Aufgabe der Gemeinden, das Thema zügig anzugehen. "Sie müssen sich überlegen, wie sie das Wasser aufteilen wollen. Dass wir nun dank dem Forschungsprojekt eine neutrale Analyse von aussen haben, hilft uns", sagt er. Dass auf Seiten der Politik Handlungsbedarf besteht, davon ist auch Maria-Pia Tschopp, Regierungsstatthalterin des Bezirks Siders, überzeugt: "Vor allem bei den jüngeren Politikern ist der Wille da, dieses Thema anzugehen." Allerdings sei nicht klar, wie die Erkenntnisse des Forschungsprojekts konkret umzusetzen seien und welche Rolle der Kanton spielen solle. "Bis alle Beteiligten überzeugt sind, dass tatsächlich Handlungsbedarf besteht, wird es noch eine Weile dauern", sagt Tschopp.
Weiterforschen
Dieser Punkt beschäftigt auch Weingartner. Als Forscher könne er auf verschiedenen Ebenen einen Beitrag leisten. "Wir überlegen uns, mit einem vom Nationalfonds finanzierten Agora-Projekt den Dialog mit den Politikern und der Bevölkerung weiterzuführen." Auch auf der wissenschaftlichen Ebene sieht Weingartner Handlungsbedarf. "Die Datengrundlage ist teilweise mangelhaft, insbesondere zum Wasserverbrauch und zur rechtlichen Situation. Wenn wir ein aussagekräftiges Monitoring etablieren wollen, müssen wir herausfinden, welche Schlüsselparameter wir unbedingt erfassen müssen."
Stausee als Multifunktionsspeicher
Weingartner will auch untersuchen, ob der Tseuzier-Stausee künftig als Multifunktionsspeicher genutzt werden könnte. Das Wasser im See würde dann nicht mehr nur für die Stromproduktion verwendet, sondern auch für andere Zwecke. Auch dazu gibt es viele offene Fragen. "Die Stromwirtschaft befindet sich im Umbruch, und bei vielen Kraftwerken muss die Konzession in den nächsten Jahrzehnten erneuert werden", sagt Weingartner. "Das bietet die Gelegenheit, die Nutzung der Stauseen zu überdenken. Zu dieser Diskussion können wir wichtige Impulse liefern."