Wasser und Menschenrechte: Leidtragende
Für viele Frauen ist der Gang zur Quelle eine tägliche Mühsal, für Khinta Devi Bishwakarma ist er darüber hinaus eine tiefe Demütigung. "Die höheren Kasten in unserem Dorf sagen, wir seien Unberührbare und dürften erst zur Quelle, nachdem sie ihr Wasser geholt hätten", erzählt die 42-jährige Mutter. Als Dalit (Kastenlose) steht sie auf der untersten Stufe der hinduistischen Hierarchie.
Demütigung an der Quelle
Einmal kam Khinta Devi zur Wasserstelle, und der Krug einer Brahmanin stand unter dem Rohr. Niemand war zu sehen. Aber ihr war es nicht erlaubt, den Krug anzufassen. "Der Krug war längst am Überlaufen, doch ich konnte nichts tun. Ich wartete über 20 Minuten. Dann habe ich den Krug vorsichtig weggestellt." Da kam die Besitzerin, beschimpfte Khinta Devi und beschuldigte sie, ihr Wasser verunreinigt zu haben. Der Streit weitete sich auf das ganze Dorf aus. "Solche Konflikte gab es früher immer wieder", sagt Kintha Devi.
Umso grösser ist ihre Erleichterung, dass sie heute nicht mehr zur Quelle gehen muss. Nun sammelt ein grosser, geschlossener Topf aus Zement das Regenwasser aus den Dachrinnen von Haus und Schuppen. "Das Wasser vom Himmel ist oft sogar sauberer als jenes aus der Quelle", sagt sie und klopft an die Wand des Topfes. Es klingt hohl. Jetzt in der Trockenzeit ist er nicht einmal halb voll, aber er fasst ja auch rund 6’500 Liter. Früher mussten die Frauen in den regenlosen Monaten immer weiter ins Tal hinabsteigen, um noch nicht versiegte Quellen zu finden.
Das gesammelte Dachwasser reicht gut für den Haushalt, das Kochen und die persönliche Hygiene. Von einem anderen Vorteil zeugen die roten Tomaten in ihrem Küchengarten. Früher war es undenkbar, hier ausserhalb der Regenzeit Gemüse anzupflanzen.
Eigentlich heisst Khinta Devis Dorf Melkhola. An einem Ort, der so sehr nach Wasser dürstet, klingt das wie ein schlechter Witz, denn Khola bedeutet Fluss. Heute nennen die Menschen das Dorf weit herum "Hügel der Wassertöpfe". Die grossen Zementbehälter, die vor jedem Haus stehen, sind zum Wahrzeichen geworden.
Kein Wasser für die Witwe
Wassertöpfe stellen die von Helvetas ausgebildeten Handwerker dort auf, wo es kein Quellwasser gibt, das zum Dorf geleitet werden kann. Anders in Ghanteshwor, wo oben an den Berghängen klares Wasser aus dem Boden sprudelt. Hier hat Helvetas mit dem Dorfkomitee Wassernutzungspläne erstellt. Dann wurden unter Mithilfe aller Leitungen verlegt, die das Wasser zu neuen Zapfstellen bei den Häusern führen und gerecht verteilen. Sind die Trinkwassertanks voll, füllt das überschüssige Wasser offene Bewässerungsbecken für die Felder der Bauernfamilien.
Aber selbst wo Helvetas das ganze Dorf einbezieht, haben Kastenlose immer wieder zu kämpfen. Die 45-jährige Dil Sara Bishwakarma kann nicht von der Sache mit dem Wasserbecken erzählen, ohne dass ihr die Augen übergehen. "Als im Dorf die Wasserhähne und Becken gebaut wurden, sagten viele: Das ist eine Dalit-Witwe und das Land, auf dem sie lebt, gehört ihr nicht einmal. Wir sollten ihr kein Wasser geben."
Das Helvetas-Team musste mit den Dorfbewohnern reden, ihnen erklären, dass alle ein Recht auf Wasser haben, gerade auch die Ärmsten unter ihnen. Dil Sara bebaut tatsächlich Land, das dem Staat gehört, doch das ist den Bedürftigen in Nepal erlaubt. Sie tut es an einem steilen Hang weitab vom Dorfzentrum, wo sonst keiner leben will. Bis fünf Mal am Tag lief sie eine halbe Stunde zur nächsten Wasserstelle.
Auch an der Dorfversammlung habe sie geweint, sagt sie: "Aber ich bin dennoch aufgestanden und habe vor allen Leuten mein Anliegen vertreten." Dil Sara mag arm sein, aber sie ist stark. Sie wollte keine Almosen, nur Gerechtigkeit. Sie und ihre Söhne haben die Gruben für die Leitungen selber gegraben und beim Bau geholfen. Nun steht auch neben ihrem Haus ein Wasserhahn. Und ein mit blauem Plastik ausgeschlagenes Bewässerungsbecken für 6’000 Liter, das man oben von der Strasse aus leicht mit einem Pool verwechseln könnte.
"Heute werden wir Dalit weniger diskriminiert als früher", sagt sie. "Aber als Witwe bin ich immer noch isoliert." Dann wischt sie sich energisch die Augen trocken. "Jetzt zeige ich euch aber meinen Garten." Heute kann sie ihre Pflanzen giessen. Früher war sie ganz vom Regen abhängig. "Damals musste ich von den reicheren Leuten Gemüse erbetteln", sagt sie. "Dieses Jahr habe ich sogar erstmals selber Gemüse verkauft."