Mit einem Weltgipfel, der vom 19. bis 22. Mai 2002 in Quebec, Kanada, über die Bühne ging, wurde ein globaler Konferenzreigen zum Internationalen Jahr des Ökotourismus formell abgeschlossen. Auf 18 Vorbereitungskonferenzen hatten sich mehr als 3’000 TeilnehmerInnen mit dem Thema befasst, nach Quebec selbst sind nochmals 1’100 TeilnehmerInnen aus 132 Ländern gereist.
Das Hauptproblem des Internationalen Jahr des Ökotourismus lag sicherlich darin, dass „Ökotourismus“ kein definierter Begriff ist, sondern in verschiedenen Weltregionen unterschiedlich verstanden wird. Während der Englisch und Spanisch sprechende Raum unter „Ecotourism“ oder „Ecotourismo“ eher alle Formen von Tourismus in der Natur zusammenfassen, geht das europäische und südostasiatische Verständnis von Ökotourismus in die Richtung eines wagen „ökologischen“ oder gar „öko-sozialen“ Tourismus. Missverständ-nisse, aber auch Missbrauch des Begriffs, waren daher vorprogrammiert, weshalb viele Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) schon im Vorlauf des Internationalen Jahrs des Ökotourismus verlangten, dass dieses von der UNO ausgerufene Jahr zu einer Überprüfung der Praxis des Ökotourismus genutzt werden soll.
Dies ist auch dringend nötig, denn der Tourismussektor ist ein wesentlicher Motor der globalisierten Ökonomie geworden. Nach mehr als zwei Jahrzehnten rasanter Entwicklung kann man den Schluss ziehen, dass der Tourismus, auch wenn er scheinbar Devisen in arme Länder bringt, immer weniger zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen in den betroffenen Tourismusdestinationen beiträgt. Die Masse der Tourismusdollars bzw. -euros gelangt gar nicht erst in das Zielland, weil sie beim Reiseveranstalter, der global agierenden Hotelkette oder bei der Fluggesellschaft verbleiben. Vom Rest der Einnahmen muss immer mehr für den Import von Waren und Ausrüstung verwendet werden, die zur Bereitstellung des Komforts für Touristen aus den Industriestaaten nötig sind. Dazu kommt, dass der Tourismus der lokalen Bevölkerung wertvolle Ressourcen entzieht – Landfläche für die karge Landwirtschaft und sehr oft auch das kostbare Gut Wasser. Ganz besonders perfide ist es, wenn sich dieser Entzug von Lebensraum unter dem Mantel des Naturschutzes tarnt, wenn also ganze Gebiete für den Ökotourismus eingezäunt und nicht selten „privatisiert“ werden, um dann den Jagdinteressen von Luxustouristen zu dienen.
Das müsste nicht so sein. Das Internationale Jahr des Ökotourismus sowie die Vorbereitung des Weltgipfels für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg hätten die Chance geboten, diese Probleme ernsthaft aufzuarbeiten und Massnahmen auf globaler Ebene zu treffen, um diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Eine Koalition von NGOs, bestehend aus arbeitskreis tourismus & entwicklung, FernWeh – Forum Tourismus & Kritik, Naturfreunde Internationale, respect und Tourism Watch-EED, hat im Rahmen des Netzwerks DANTE dazu eine Broschüre herausgegeben „Rio+10: Rote Karte für den Tourismus?“ mit griffigen Leitsätzen, Analysen und Forderungen.
Doch in Quebec wurde die Chance nicht genutzt. Grund dafür waren die unterschiedlichen und gegensätzlichen Interessen der beteiligten Regierungen. Die Mehrheit der Regierungen der Entwicklungsländer verbinden mit dem Ökotourismus – also der Nutzung ihrer Naturlandschaft und ihrer Kultur für touristische Zwecke – grosse ökonomische Hoffnungen. Dafür sind sie auch bereit, die Interessen der lokalen Bevölkerung zu beschneiden, zum Beispiel durch die Schaffung von Reservaten oder die Erleichterung von Grossinvestitionen. Dass die Rechnung oft nicht aufgeht, weil die Wertschöpfung nicht im Lande bleibt, haben einige inzwischen leidvoll erfahren. Trotzdem haben sie das Internationale Jahr des Ökotourismus genutzt, für ihre Destinationen verstärkt Werbung zu machen. Die NGOs aus diesen Ländern zeigten dagegen die Fehlentwicklungen schonungslos auf: Enteignung von öffentlichem Gemeindebesitz für private Tourismuszwecke, Zerstörung lokaler Wirtschaftsstrukturen, negative soziale Auswirkungen auf Bevölkerung, die bis zur Ausbeutung und Prostitution gehen. Sie sehen berechtigterweise im Internationalen Jahr des Ökotourismus die Gefahr, dass unter dem Deckmantel des vermeintlich „guten“ Ökotourismus die touristische Kolonialisierung ihrer Länder nun endgültig vorangetrieben wird.
Die Tourismusindustrie hat sich zum Thema Ökotourismus kaum zu Wort gemeldet. Für sie wirkte sich positiv aus, dass die Welttourismusorganisation den Begriff des Ökotourismus auf eine sehr enge Marktnische von 1,5 Prozent eingegrenzt hat, indem sie den Aspekt der aktiven Naturvermittlung in die Definition aufgenommen hat. Dies hatte zur Folge, dass das eigentliche Tourismusgeschehen, also der Massentourismus, der ja ebenfalls vorwiegend in der Natur stattfindet, nicht mehr zur Diskussion stand. Dies dürfte auch der Grund sein, warum sich der Grossteil der Tourismusquelländer, also USA, Kanada, Japan oder die Länder der europäischen Union, ebenfalls sehr zurückhielten und zumeist nur mit wenigen Beamten auf der Konferenz vertreten waren. Sie wollten offenbar vermeiden, dass ihre Tourismus- und Entwicklungspolitik auf den Prüfstand gestellt wird. Einige besonders Dreiste haben die Gelegenheit beim Schopf gepackt und das Internationale Jahr zu einem praktischen „Greenwashing“ genutzt. Dem staunenden Publikum wurden etwa Griechenland und die Türkei als Musterdestinationen des Ökotourismus vorgeführt.
Der beim Abschluss der Konferenz in Quebec vorliegende Entwurf einer Deklaration, die auch in den kommenden Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung von Johannesburg einfliesst, war daher mehr als enttäuschend. Die wesentlichen Themen wie Bekämpfung der Armut, Verkehr, Landnutzung, Wasser und Ressourcenverbrauch im Tourismus, wie sie in der „Roten Karte für den Tourismus?“ angeschnitten werden, kamen entweder gar nicht oder nur mangelhaft zur Sprache. Auch wenn die Veranstalter der Ökotourismuskonferenz ihre Erklärung nun noch ergänzen, steht bereits jetzt fest, dass in Quebec die Gelegenheit verpasst wurde, eine zukunftsfähige Entwicklung für den Tourismus vorzuzeichnen. Der Grossteil der Ergebnisse der Konferenzen im Rahmen des Jahres des Ökotourismus ist für Johannesburg kaum relevant, weil sie auf einen sehr engen Begriff des Ökotourismus zugeschnitten wurden und so an den wesentlichen Fragen des globalen Tourismusgeschehens einfach vorbeigehen.
Das Internationale Jahr des Ökotourismus ist mit Quebec zwar offiziell abgeschlossen, aber die vielen Diskussionen, die dieses Jahr stimuliert hat, zeigen, dass der gesamte Tourismus dringend auf die Tagesordnung der globalen Nachhaltigen Entwicklung gesetzt werden muss. Rendez-vous also in Johannesburg!

Manfred Pils
Generalsekretär Naturfreunde Internationale Wien