Am 1. Oktober 1999 hat die Welttourismusorganisation (WTO) auf ihrer Generalversammlung in Santiago de Chile einen „Global Code of Ethics for Tourism“ verabschiedet. In zehn Punkten hält der Kodex fest, wie die Ressourcen, auf denen der Tourismus aufbaut, künftig besser geschützt werden können; gleichzeitig sollen die „skyrocketing profits from tourism“ (Pressemitteilung der WTO vom 1.10.99), die schwindelerregenden Profite aus dem Tourismus, vermehrt den BewohnerInnen in den touristischen
Zielgebieten zugute kommen. „Angesichts der Prognose, dass sich das Tourismusaufkommen in den nächsten zwanzig Jahren verdreifachen wird, sind wir der Meinung, dass ein Ethikkodex notwendig ist, um die Nachhaltigkeit im Tourismus zu gewährleisten“, begründet der Generalsekretär Francesco Frangialli den wichtigen Schritt der WTO. „Der Brundtland-Bericht und die Ergebnisse der Rio-Konferenz, aber auch die sozialen Probleme im Zusammenhang mit dem Tourismus, etwa die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern, die seit den achtziger Jahren immer stärker diskutiert
wurden, zeigen klar, dass es einen Ethikkodex im Tourismus braucht“, betont Frangialli gegenüber der britischen Journalistin Sue Wheat, die für die tourismuskritische Organisation Tourism Concern seine Stellungnahme einholte.
In neun Artikeln umreisst der Kodex die ethischen „Spielregeln“ für die verschiedenen Akteure im Tourismus: Regierungen, Behörden, Verantwortliche aus Hotel- und Reiseindustrie, Beschäftigte im Tourismus sowie die Reisenden, aber auch die Medienschaffenden. Im zehnten Artikel sind der Geltungsbereich und die Modalitäten der Anwendung des Kodex, insbesondere des Schlichtungsverfahrens im Falle von Verstössen gegen den Kodex, festgehalten. Peter Keller, der Schweizer Delegierte bei der WTO, begrüsst den „Global Code“ als innovatives Instrument, insbesondere aufgrund seines Schlichtungsverfahrens im Falle von Verstössen.
Die verabschiedete Fassung des Kodex ist das Resultat langwieriger Vorbereitungen und verschiedener Vernehmlassungen. Dabei haben auch tourismuskritische NGOs aus Süd und Nord, unter anderem der Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung, wiederholt ihre Standpunkte und kritischen Kommentare eingegeben. Mit unterschiedlichem Erfolg: Zwar haben sie erwirkt, dass insgesamt der Geltungsbereich und die Zielsetzung des Kodex besser präzisiert wurden. Verankert wurden zudem die gerechte Verteilung der Profite aus dem Tourismusgeschäft, die besondere Berücksichtigung der Rechte benachteiligter Bevölkerungsgruppen (namentlich der Kinder, ethnischer Minderheiten und indigener Völker; nicht aber spezifisch erwähnt sind die Frauen!), das Recht der Gemeinden auf die Nutzung ihrer Ressourcen sowie die besondere Verantwortung der multinationalen Unternehmen bei der Tourismusentwicklung. Dennoch hat der Kodex, nach Ansicht der kritischen BeobachterInnen, nach wie vor zu wenig Biss. So stellt er das Recht auf Reisen sehr stark in den Mittelpunkt im Vergleich zu den Rechten der in den Tourismusgebieten ansässigen Bevölkerung. Grössere Unklarheiten bestehen im Bereich der Anwendung und der Überprüfung der Einhaltung des Kodex, der als WTO-intern definiert ist und von einem von der WTO ins Leben zu rufenden „World Committee on Ethics“ bezüglich seiner Umsetzung überprüft werden soll. Der Kodex hat bloss empfehlenden Charakter, seine Erfüllung basiert auf Freiwilligkeit. Es gilt nun weiter kritisch zu verfolgen, wie der Globale Ethikkodex auch bei Tourismusbetrieben und -akteuren zum Tragen kommt, die nicht Mitglieder der WTO sind – das betrifft immerhin die überwiegende Mehrheit der Tourismusindustrie und der Reisenden. Unklar ist weiter, wie unabhängige Stellen im Monitoring des Kodex mitwirken können, etwa NGOs, die sich die happigen Mitgliederbeiträge der WTO nicht leisten können.
Überraschend für anwesende BeobachterInnen und auch für den Generalsekretär Frangialli war, dass der Kodex praktisch diskussionslos verabschiedet wurde. Anwesend auf der Generalversammlung der WTO waren rund 800 Delegierte aus über 110 Ländern, darunter an die 60 Tourismusminister oder ranghohe Behörden. Zur Debatte über den Kodex und seine Verabschiedung fanden sich allerdings bloss 20 bis 30 Delegierte sowie einige Medienschaffende ein – das dürfte doch einiges über den Stellenwert aussagen, den die Delegierten der WTO der Ethik im Tourismus beimessen! /plus

Quellen: WTO Press Release 1.10.1999: Tourism Sector Takes Steps to Ensure Future Growth: Global Code of Ethics Adopted at WTO Summit; Wortlaut des verabschiedeten Global Code of Ethics for Tourism auf: http://www.world-tourism.org; Interview mit Francesco Frangialli, General Secretary of WTO, von Sue Wheat für Tourism Concern; Recherchen von Dora Valayer, TransVerses, Paris; Stellungnahmen und Verhandlungen mit WTO auf: http://www.akte.ch; akte-KUNA4/98; eigene Recherchen.