Weltuntergangsprophezeiung soll Touristen zu Maya-Pyramiden locken
Basel, 21.03.2012 akte/ Der Tourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen Mexikos und wird als einer der Hauptmotoren der regionalen Entwicklung betrachtet. Er schafft nicht nur geschätzte 1,8 Millionen Arbeitsplätze in Verbindung mit direkten Tourismusleistungen, sondern viele weitere durch den Bau von Tourismus- und Infrastruktureinrichtungen. In den letzten Jahren haben sich die Gästezahlen jedoch nicht wunschgemäss entwickelt. Die zunehmenden Morde in Verbindung mit der Drogenwirtschaft und dem organisierten Verbrechen halten zahlreiche In- und Ausländer vom Reisen ab. Die Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA hat die Zahl der TouristInnen aus dem Nachbarland, aus dem traditionell fast die Hälfte der internationalen Gäste stammt, zusätzlich reduziert.
Doch Mexiko hat sich für die nächsten Jahre ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis 2015 will es zu den fünf weltweit führenden Tourismusdestinationen gehören. Dazu sollen vermehrt Gäste aus anderen Ländern wie Brasilien, Russland, verschiedenen europäischen Ländern, China, Kolumbien, Australien und Japan angesprochen werden. Auch das touristische Angebot soll verbreitert werden. Das Land will nicht mehr nur mit seinen Stränden locken, sondern vermehrt sein kulturelles, archäologisches und kulinarisches Erbe und seine Natur in Wert setzen. Geschäftsreisende sollen ihren Aufenthalt im Land mit einem Urlaub verbinden und PatientInnen werden verschiedene medizinische Behandlungen angeboten. Eine tragende Säule dieser Strategie ist die Förderung des Tourismus zu den historischen Mayastätten in den fünf südöstlichen Bundesstaaten Campeche, Chiapas, Quintana Roo, Tabasco und Yucatan. Für 2012 sind 500 verschiedene Inszenierungen zum Ende des jetzigen und zur Begrüssung des neuen Maya-Zeitalters, Ausstellungen, Konferenzen und Festivals in archäologischen Stätten geplant.
Gekauftes Ritual
Dabei zeigten sich die Verantwortlichen kreativ: Um die Weltuntergangsstimmung anzuheizen, wurde in der chiapatekischen Stadt Tapachula eine mehrere Meter grosse Digitaluhr installiert, welche die verbleibende Zeit bis zum 21. Dezember 2012 anzeigt. Zwar spielte Tapachula in der prähispanischen Mayazivilisation kaum eine Rolle, doch befindet sich im nahegelegenen Izapa die Stele des Lebensbaums, aus deren Glyphen John Mayor Jenkins abgeleitet hat, dass am 21. Dezember ein neues Maya-Zeitalter beginnt. Immerhin gelang es der Regierung des Bundesstaates Chiapas, Mayapriester zur Durchführung einer Zeremonie zum Wechsel der Kalenderzyklen zu verpflichten, wobei diese möglicherweise vorwiegend dem Mammon gewidmet ist.
Anlässlich der offiziellen Eröffnung des Programms "Mayawelt" im Januar 2012 erklärte Tourismusministerin Gloria Guevara Manzo, für die Vermarktung des Programms "Mayawelt" sei ein Budget von acht Millionen US Dollar vorgesehen. Unter anderem werde damit der Südosten Mexikos an über 40 internationalen Tourismusmessen beworben. Dies geschehe in enger Zusammenarbeit mit El Salvador, Guatemala und Honduras, die sich von der gemeinsamen Werbung für die "Mayaroute" und die neu geschaffene Website www.mundomaya.travel ebenfalls einen Zuwachs im Tourismussektor erhoffen. Weiter führte Guevara aus, beim Programm "Mayawelt" ginge es darum, Investoren für die Förderung touristischer Angebote in der Region zu finden und führende Reiseveranstalter in deren Vermarktung einzubinden.
Die toten Maya geschätzt, die lebenden vergessen
In den Erkärungen zum ambitiösen Tourismusprogramm wurden die kulturellen Leistungen der prähispanischen Maya und deren Wert für den Tourismus ausführlich gewürdigt. Ihre heute lebenden Nachfahren wurden jedoch mit keinem Wort erwähnt. Auch auf der Website des Tourismusministeriums, die vermehrt die Kultur der indigenen Völker in Wert setzt, sucht man vergeblich nach einem Hinweis auf die heutige Maya-Bevölkerung Südostmexikos. Bei der letzten offiziellen Volkszählung von 2012 kam das Nationale Institut für Statistik und Geografie bei einer Gesamtbevölkerung von 112 Millionen auf einen Anteil von 786’000 Maya. In dieser Zahl sind jedoch nur jene Personen eingeschlossen, die eine Maya-Sprache als Muttersprache angaben.
Gemäss der Nachrichtenagentur InterPress Service belaufen sich die gesamten Investitionen des Programms "Mayawelt" gar auf 49 Millionen US-Dollar, wenn man die geplanten gastronomischen, archäologischen und astronomischen Spezialveranstaltungen in die Rechnung einschliesst. Doch seien die indigenen Völker überhaupt nicht an den ehrgeizigen Tourismusplänen beteiligt. "Unsere Stimmen sind nicht gehört worden. Einmal mehr hat die Regierung gehandelt, ohne uns anzuhören. Die Einzigen, die einen Nutzen von diesem Programm haben, sind grosse Unternehmen", zitiert sie Artemio Kaamal, den Koordinator der Nichtregierungsorganisation Ständiges Forum für Indigene Politik Kuxa’ano’on ("Wir leben"). Kuxa’ano’on wurde 2005 gegründet, um für die Rechte der indigenen Völker von Campeche, Chiapas, Quintana Roo, Tabasca und Yucatan zu stärken. Laut Kaamal handelt es sich beim Programm "Mayawelt" um ein rein kommerzielles Unterfangen, das die Kultur, Wurzeln und Traditionen der Mayavölker in keiner Weise einbezieht. "Wir fürchten, dass unsere heiligen Stätten in Mitleidenschaft gezogen werden. Umso mehr bereitet uns diese ausländische Aufmerksamkeit Sorgen. Wir hoffen, dass wenigstens ein Teil der Mittel unseren Gemeinschaften zugute kommt."
Das Indigene Tourismusnetz bleibt aussen vor
Die Miglieder des Mexikanischen Indigenen Tourismusnetz RITA aus den betroffenen Regionen seien nicht über die geplanten offiziellen Veranstaltungen informiert worden, obwohl diese in ihren Gebieten stattfänden, erklärte dessen Präsident Cecilio Solís. "Wir wollen jedoch klarstellen, dass es sich hier nicht um ein Unterhaltungsprogramm oder um Folklore handelt. Es geht um unsere Geschichte, die von Generation zu Generation weitergeht, um ein spirituelles Erbe." RITA wurde 2002 von 32 Mitgliedern gegründet und vereinigt nun 160 indigene Tourismusbetriebe mit insgesamt 5’000 Mitgliedern und 20’000 Begünstigten. Das Tourismusnetz gehört dem Mittelamerikanischen Indigenenrat und der lateinamerikanischen Indigenenbewegung Abya Yala an. Ziel dieser Dachorganisationen ist die Stärkung indigener Organisationen und die regionale Zusammenarbeit in Themenbereichen wie Spiritualität, Klimawandel, Erhalt der biologischen Vielfalt und Schutz der Indigenenrechte. Gemeinsam mit diesen Organisationen organisiert RITA eigene Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Wechsel der Kalenderzyklen. Auch Artemio Kaamal ist von der Notwendigkeit überzeugt, sich mit anderen indigenen Völkern zusammzuschliessen, um sich Gehör zu verschaffen und über die eigene Zukunft zu bestimmen.
Wie so häufig wird in Mexiko einmal mehr die Kultur der Maya zur Vermarktung ehrgeiziger Projekte und zum Anlocken von Investoren benutzt, ohne dass die Maya-Bevölkerung in die Pläne einbezogen oder an den erhofften Einkünften beteiligt worden sind. Stätten, die auch von modernen Maya als heilig betrachtet und für religiöse Zeremonien verwendet werden, verkommen zu Vergnügungsparks. Schlimmstenfalls kommt es bei der Erstellung von Touristenzentren und Strassen zur Privatisierung von kollektiv genutztem Land, zu Enteignungen und Vertreibungen und zu Konkurrenz um Ressourcen, wie dies bereits bei anderen Tourismusprojekten im südlichen Mexiko der Fall war.
Nicht das Ende der Welt, aber Zeit für eine Bilanz
Guatemala, das sich als "Herz der Maya-Welt" vermarktet, wirbt traditionell mit dem kulturellen Erbe der Maya und der "lebendigen" heutigen Maya-Kultur (oder Folklore). So werden auf der Website des Guatemaltekischen Instituts für Tourismus (INGUAT) Ausflüge zu bunten Märkten empfohlen, wo man Frauen (und im Glücksfall sogar noch Männer) mit ihren traditionellen Trachten zu sehen bekomme, Besuche von Volks- und religiösen Festen und selbst von heiligen Orten, die noch heute für Zeremonien genutzt werden. Immerhin werden die Maya nicht mehr ausschliesslich als "Farbtupfer" und Fotosujets präsentiert, sondern als TrägerInnen einer uralten Kultur, Kosmovision und Spiritualität. Zwar gibt es in jüngster Zeit einige Gemeindetourismus-Initiativen, doch im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 40 bis 60 Prozent partizipieren die Maya kam am Geschäft mit den Reisenden.
INGUAT hat 2012 das "Jahr des Erwachens der Maya" ausgerufen, um den Übergang in die neue Zeitrechnung in Wert zu setzen. Diesem Motto können sich verschiedene Maya-Organisationen anschliessen: Antonio Mendoza von der Mayaorganisation Oxlajuj Ajpop (13 Energien des Mayakalenders) meint: "Dies ist eine Zeit des Nachdenkens und der Analyse über das Zusammenleben und die Natur. Wir überlegen uns, wie wir unsere Kräfte bündeln können, um das Verhalten zu ändern, das die Natur, das Klima und die Menschheit in Gefahr bringt." Auch für Mario Molina vom Nationalen Netz der Maya-Jugendorganisationen (RENOJ) "bedeutet der Kalenderwechsel für die Maya nicht das Ende der Welt, sondern einen Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen über die Entwicklung der Natur und der Menschheit". Am meisten Anlass zu Sorgen gäben zurzeit die Zerstörung der Umwelt und der Klimawandel, die beide durch die Menschen hervorgerufen würden. "Jetzt ist die Zeit gekommen, den Wunsch nach einem multikulturellen Land, in dem Einheit herrscht und die Menschen eine gemeinsame Vision entwickeln, zu verwirklichen", meint er. Die Zeit des Kalenderwechsels wollen er und seine MitstreiterInnen nutzen, um Aktionen durchzuführen, die den Respekt vor der Würde, dem Leben und der Rechte der Menschen fördern. Verschiedene guatemaltekische Maya-Organisationen planen Veranstaltungen, um gemeinsam über diese Themen und die Schaffung von Entwicklungsmöglichkeiten für die indigene Bevölkerung nachzudenken. Für den spirituellen Führer Cirilo Pérez bedeutet der 21. Dezember auf keinen Fall das Ende der Welt. "Egal, wie viele Akademiker, Archäologen, Ethnologen und Historiker sich damit beschäftigt und Bücher darüber geschrieben haben – sie haben nichts verstanden. Nur die Maya können den Maya-Kalender verstehen." Es wäre zu wünschen, dass diese Botschaften auch bei den Tourismus-Verantwortlichen ankommen.
Quellen: Mayas, actores y víctimas del turismo apocalíptico, InterPress Service, 18.01.2012, www.ipsnoticias.net; Para los mayas el mundo no se acaba, pero sus recursos sí, InterPress Service, 13.01.2012, www.ipsnoticias.net; Wie der Weltuntergang Touristen anlocken soll, 10.12.2011, Spiegel Online, www.spiegel.de; Mundo Maya 2012: El plan turístico de México que explota el fin del mundo, Urgente24, s.d., www.urgente24.com; www.sectur.gob.mx; www.mundomaya.travel; www.inguat.gob.gt; www.pueblosmayas.com