Wer nach Südafrika reist, braucht Klarheit – jetzt!
Gerne berichten wir an dieser Stelle über die hoffnungsvollen Aufbrüche im südafrikanischen Tourismus, der den während der Apartheid benachteiligten Bevölkerungsgruppen eine gerechte Teilhabe und neue Perspektiven bieten will. Höchste Zeit, dass Schweizer Reisende und Reisebranche solche Angebote gezielt nutzen und sich zumindest heute aktiv um mehr Gerechtigkeit bemühen. Denn die Tourismusbranche gehörte zu den Schweizer Wirtschaftskreisen, die jahrelang mit dem Apartheidstaat Geschäfte machten – die Swissair etwa oder Kuoni, TCS, Rotunda Tours auch nach 1986 noch, als Fluglinien aus den Staaten des Commonwealth, der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und der Blockfreien ihre Verbindungen nach Südafrika im Rahmen der internationalen Sanktionen einstellten und andere Schweizer Reiseanbieter wie SSR, Esco oder Airtour Suisse Südafrika längst aus dem Programm genommen hatten.
Das hält der Historiker Georg Kreis im Abschlussbericht des Nationalen Forschungsprogrammes NFP 42+ über die Beziehungen der Schweiz zu Südafrika zwischen 1948 und 1994 fest. Das Wort Apartheid tauche in den Reiseprospekten gar nicht auf, führt Kreis weiter aus unter Berufung auf die 1987 von Marianne Gujer im Basler arbeitskreis tourismus & entwicklung publizierte Untersuchung zum Tourismus nach Südafrika: Die Werbung pries das Land – frei nach der Formel ‚die Vorzüge Afrikas ohne die Nachteile Afrikas’ – an; sie verkaufte Südafrika als sauberes europäisches Land und blendete aus, dass 80 Prozent der Bevölkerung rechtlos gehaltene Schwarze waren. Und die Schweizer Reisenden nutzten das derart gepriesene Paradies für Weisse: Kein anderes Land entsandte gemessen an der Gesamtbevölkerung so viele TouristInnen nach Südafrika. Vor Ort konnten sie sich dann vom zivilisatorischen Einfluss der Weissen selbst überzeugen, beschränkten sich doch historische Ausführungen ausschliesslich auf die Geschichte der Weissen. Die schwarze Bevölkerungsmehrheit wurde in den Touristeninformationen zu einer Anzahl von Minderheiten zusammengefasst und der geschichtslosen Natur und den Naturreservaten zugewiesen, wo sie mit ihrem Stammesleben, ihrer Folklore und ihren Ritualen für Exotik sorgten. Über die zeitgenössischen Lebensbedingungen in den Townships und Homelands findet sich kein Wort, schreibt Georg Kreis weiter. Und die Goldgewinnung erscheine als Pioniertat weisser Goldgräber, ohne Erwähnung der schwarzen Arbeiter, geschweige denn der Beteiligung der Schweiz daran.
Schweizer Firmen haben mit Unterstützung der Schweizer Politik – das zeigen nun die vorliegenden Berichte des NFP 42+ – bis zuletzt das menschenrechtsverachtende südafrikanische Regime gestützt und so mitgeholfen, die Apartheid am Leben zu erhalten. Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Südafrika sei während der Apartheid grösser und skandalöser gewesen, als von Antiapartheid-AktivistInnen jemals behauptet, stellt die Ökonomin Mascha Madörin fest (siehe Kommentar unten). Auch der Leiter des NFP 42+, Georg Kreis, hält abschliessend fest, dass es für die Schweiz immer eine Möglichkeit gegeben hätte, die dem menschenrechtlichen Aspekt und dem Gebot internationaler Solidarität stärker entsprochen hätte. Doch die Schweiz habe die Wirtschaft weitgehend gewähren lassen, und die Südafrikapolitik sei – obwohl von der Antiapartheidbewegung massiv kritisiert – immer von einer stabilen parlamentarischen Mehrheit gedeckt worden. Jetzt stehe sie als Land in der Verantwortung. Das allerdings scheint die Schweiz nicht so zu sehen, hat sie doch alles daran gesetzt, dass viele der schweizerischen Südafrika-Aktivitäten im Dunkeln bleiben: Das Nationalfonds-Programm war nicht ausreichend dotiert und die Forschungsarbeiten wurden massiv behindert. So wurde der Zugang zu den privatwirtschaftlichen Archiven gar nie gewährleistet und die offizielle Akteneinsicht im Laufe der Aufarbeitung durch einen handstreichartigen Beschluss des Bundesrates drastisch eingeschränkt. Was, fragt man sich da, ist es denn genau, was wir nicht wissen dürfen? Das Vorgehen wirft gewichtige Fragen zum demokratischen Selbstverständnis der Schweiz auf – nicht nur was die Vergangenheit angeht, sondern heute und für die Zukunft. Die Verschweige-Taktik hat die demokratische Schweiz doch jüngst erst unsanft eingeholt, als sie international unter Druck geriet, ihre Rolle in der Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland während dem Zweiten Weltkrieg aufzuarbeiten. Was, so fragt man sich weiter, heisst es jetzt, wenn die Schweiz sich gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung in Südafrika, die unter der Apartheid litt, nicht verpflichtet fühlt, Transparenz zu schaffen und die Geschichte aufzuarbeiten?
Und was heisst das für diese Schweiz, die sich ja gern auch weltoffen zeigt und diesen Winter erstmals gar per Charter nach Südafrika reist? Etwa 40’000 Reisende aus der Schweiz waren es im vergangenen Jahr. Unsere Partner aus den neuen Tourismusinitiativen betonen immer wieder, wie wichtig ihnen die Begegnung auf gleicher Augenhöhe mit den fremden Gästen ist. Diese kommen aber in erster Linie auf der Suche nach dem, was ihnen in der Reisewerbung versprochen wurde. Der Historiker Georg Kreis führt uns im Bericht zum NFP 42+ nochmals klar vor Augen, wie die Tourismuswerbung in Südafrika mithalf, die Vorurteile gegen die schwarze Bevölkerungsmehrheit und den Überlegenheitsdünkel der Weissen im Apartheidregime zu zementieren. Und dies liegt noch keine 15 Jahre zurück. Höchste Zeit deshalb, dass nicht nur die offizielle Schweiz ihre Bilder im Kopf über die Menschen in Südafrika revidiert und den Weg für weitere Forschungsarbeiten zur Schweiz im Apartheidregime ebnet. Auch die Schweizer Tourismusbranche, die lange genug vom Geschäft mit dem Apartheidregime profitierte, soll nun schleunigst ihre Werbung von Südafrika überprüfen und ihre Geschäftspolitik auf die fortschrittlichen neuen Richtlinien der südafrikanischen Tourismuspolitik ausrichten. /plus