Am 24. September 2006 haben zwei Drittel der Stimmenden den Verschärfungen im Asyl- und Ausländergesetz zugestimmt, trotz gegenteiliger Empfehlungen einer breiten Koalition aus kirchlichen und NGO-Kreisen. Der Widerspruch Nr. 51 zu Migration, Integration und Menschenrechte macht in einem ersten Teil eine Bestandesaufnahme: Was bedeuten die Verschärfungen für die Asylsuchenden, die MigrantInnen, die Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere. Was bedeuten sie auch für all jene, welche sich aktiv auch für illegalisierte MigrantInnen einsetzen und deshalb mit den neuen Gesetzen kriminalisiert werden. Gefordert ist die Einrichtung einer Koordinationsstelle, wie sie von „Solidarité sans frontières“ vorgeschlagen wurde. Ein Kraftakt, den das solidarische Drittel der Stimmenden jetzt leisten muss, um Informationen darüber zu sammeln, wie die Anwendung des Asyl- und Ausländerrechts im Alltag geschieht, und diese Informationen politisch auszuwerten. Anni Lanz warnt davor, über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu bestimmen, denn diese müssen die Folgen tragen und selbst entscheiden können, wo sich Widerstand lohnt und wo er für sie zu verheerend sein kann.
    In der Vergangenheit wurde die Konstruktion von Fremd- und Feinbildern zu Wahlzwecken missbraucht. Auch im Wahljahr 2007, so ist absehbar, wird dies nicht anders sein. Schon hat die SVP die Minarettinitiative angekündigt und fordert weitere und sehr weit gehende Verschärfungen des Ausländerrechts. Gerade in diesem Kontext sind die Erörterungen zum Thema „Integration“ so wichtig. Dabei wird aufgezeigt, wie sehr bislang die Integration im Sinne einer gleichberechtigten Beteiligung der ausländischen Wohnbevölkerung im Arbeits-, Wohnmarkt und in der Politik vernachlässigt worden ist und wie immer mehr unter „Integration“ einfach die individuelle Anpassungsleistung verstanden wird. Eine Anpassungsleistung, die nicht durch bessere Partizipation honoriert, sondern unter Drohung massiver Sanktionen recht willkürlich eingefordert wird. Willkürlich deshalb, weil auch unter SchweizerInnen keineswegs so klar ist, was zur sozialen Kohäsion beiträgt: Spracherwerb ja, aber auf welchem Niveau? Geografische oder geschichtliche Kenntnisse, wie sie jetzt in einzelnen Kantonen bei BürgerrechtskandidatInnen abgefragt werden? Ein Arbeitsplatz?
    Klar ist, dass unter den Bedingungen der bestehenden Weltwirtschaftsordnung weiterhin Menschen auswandern müssen. Die Abschottung ist daher nur unter dem Preis von Menschenrechtsverletzungen zu haben. Diese sind umso stossender, weil in Europa von der Illegalisierung der MigrantInnen profitiert wird: Diese arbeiten abgeschottet von der Wohnbevölkerung und den nahe gelegenen touristischen Zentren in Gemüseanbaulagern als moderne SklavInnen, die jederzeit wieder abgeschoben werden können, wenn sie nicht parieren oder krank werden. Dabei bauen sie das Gemüse für die Einkaufszentren an, die durch ihre Marktmacht den Preis bestimmen und drücken können, wie Sissel Brodal in seinem Beitrag beleuchtet.
    Es sind raue Zeiten, in der viele unter uns leben, raue Zeiten, die auf uns zukommen. Aber für Resignation ist kein Platz. Im Beitrag „Der alte Staat in der neuen Weltordnung“ räumt Michael R. Krätke auf mit linken Vorstellung einer globalisierten Welt, in der die Wirtschaft herrscht und die Staaten nichts mehr zu sagen habe. Wirtschaftspolitik sei heute multilaterale Handelspolitik von Staaten. Er ruft auf, genauer hinzusehen auf die konkreten Machtspiele mitzuverfolgen. Nach seiner These hat die „Globalisierung“ uns einen grösseren und stärkeren Staat beschert. Für eine andere Politik als die des „race to the bottom“ mit sinkenden Löhnen, Arbeitsbedingungen, sozialen Rechten der Arbeiter brauche es einen intelligenten Staat, der die Dummheit der politischen Klasse und ihrer Ideologien in Schach halten könne. Ausserdem fordert er mehr „global governance“ von legitimen und politisch handlungsfähigen Institutionen.
    Migrationspolitik ist im Moment ein wenig aufbauendes Handlungsfeld. Dass der Widerspruch nicht nur analysiert, sondern immer auch Handlungsfelder und –ansätze sowie Visionen aufzeigt, macht ihn zur wichtigen und richtigen Grundlage zur rechten Zeit. 
    Widerspruch, Zürich 2006,  26. Jg./2. Halbjahr 2006, SFr. 25.-; Euro 16.-;ISSN 1420-0945
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