Guten Tag Dr. Sommerferien

Ich sass letztens im Zug Richtung Frankreich, als die Grenzpolizei eine Personenkontrolle durchgeführt hat. Gezielt wurde – ohne offensichtlichen Grund – die am wenigsten europäisch aussehende Person im Waggon für die Kontrolle herausgesucht. Wiederwillig liess diese die Kontrolle über sich ergehen, während der gesamte Waggon stillschweigend und etwas beschämt zuschaute. Auch ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte – weshalb ich mich nun an Sie wende.

Haben Sie sich bereits mit dem Thema Racial Profiling auf Reisen und wie man als Drittperson in einer solchen Situation handeln sollte, beschäftigt? Ich wäre Ihnen sehr dankbar für ein paar Tipps oder Denkanstösse.

Mit freundlichen Grüssen

F. Haller 

Liebe Frau Haller

Vielen Dank für diese Frage, die aufgrund der Black Lives Matter Bewegung neue Aktualität erhalten hat.

Es ist schwierig, eine allgemeine Verhaltensempfehlung zu geben, da die gesetzliche Lage von Land zu Land unterschiedlich ist und auch die Situationen, in der eine solche meist willkürliche polizeiliche Kontrolle erfolgt, sehr verschieden sein können. Entscheiden Sie daher jedes Mal situationsbedingt, wie Sie der betroffenen Person am besten Ihre Solidarität zeigen können.

Damit Sie nicht nur Tipps von jemandem wie mir erhalten, der selbst noch nie von Racial Profiling betroffen war, habe ich mich für Sie erkundigt, was sich betroffene Personen in diesen Situationen von ZeugInnen wünschen.

Das Thema scheint nicht nur Sie zu beschäftigen, denn die Allianz gegen Racial Profiling konnte mir aufgrund einer Welle an Medienanfragen keine Auskunft geben. Es freut mich umso mehr, dass Mohamed Abdirahim (Stadtrat Bern, JUSO) seine Erfahrungen mit mir geteilt hat.

Folgende Reaktionen können gemäss Mohamed Abdirahim und weiteren Quellen (u. a. Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt) hilfreich sein:                                                          

1) Ansprechen und Beistehen: Racial Profiling-Kontrollen sind für die betroffenen Personen oft eine öffentliche Demütigung, weshalb es wichtig ist, als ZeugIn die betroffene Person direkt anzusprechen und zu fragen, ob alles in Ordnung ist und sie allenfalls möchte, dass man eingreift. Falls die Situation es erfordert, können Sie auch Ihre eigenen Kontaktdaten weitergeben und sich als Zeugin zur Verfügung stellen.

Auch solidarisches Beistehen kann in einer solchen Situation hilfreich sein: Zeigen Sie zum Beispiel bei der nächsten Personenkontrolle, bei welcher Sie Zeugin von Racial Profiling werden, als Akt der Solidarität einfach selbst ihren Ausweis.

2) Dokumentieren: Droht die Situation zu eskalieren, kann es auch hilfreich sein, das Geschehen zu dokumentieren, um gegebenenfalls später ein Beweismittel zu haben. Das ist auch dann zulässig, wenn die Beamten auf dem Video zu erkennen sind. Porträtaufnahmen hingegen sind nicht erlaubt. Seien Sie sich immer des Risikos bewusst, dass ein offensichtliches Filmen von PolizistInnen zur Eskalation beitragen kann.

Abhängig von der Rechtslage des jeweiligen Landes kann die Dokumentation nicht nur per Video oder Foto, sondern auch in Form einer schriftlichen Notiz erfolgen. Wichtig bei letzterem ist eine detaillierte Beschreibung der anwesenden PolizistInnen und ein Vermerk, wer gegebenenfalls Gewalt ausgeübt oder sich sonstwie unkorrekt/rechtswidrig verhalten hat.

3) Aktives Einmischen: Sie haben als ZeugIn das Recht, die Kontrolle aus gebührendem Abstand zu beobachten, wenn Sie dabei die Arbeit der Polizei nicht behindern. Aktives Einmischen erfordert Zivilcourage und kann unter Umständen auch eine Busse zur Folge haben, falls die Polizei Ihr Eingreifen als eine Behinderung ihrer Amtshandlung auffasst. Trotzdem kann ein entschiedenes Eingreifen die betroffene Person nicht nur solidarisch unterstützen, sondern kann auch andere Anwesende dazu ermutigen, dies ein anderes Mal selbst zu tun. Die Situation von der Ferne zu kommentieren und seine Meinung dazu kundzutun, kann zum Beispiel der betroffenen Person – und der Polizei – zeigen, dass man mit dem Vorgehen nicht einverstanden ist.

Ich hoffe, Ihnen hiermit Ihre Frage zufriedenstellend beantwortet zu haben.

Mit besten Grüssen

Was ist Racial Profiling?

Unter ‹Racial Profiling› (auch ‹Ethnic Profiling› oder dt.: rassistische Profilerstellung genannt) versteht man alle diskriminierenden polizeilichen Massnahmen – wie zum Beispiel Identitätskontrollen, Befragungen, Durchsuchungen oder Verhaftungen – die ohne konkretes Indiz auf eine Gefahr oder Verdacht erfolgen, sondern lediglich auf dem physischen Erscheinungsbild einer Person beruhen. 

Vgl. hierzu auch diesen Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung.

Haben auch Sie eine Frage zu Nachhaltigkeit auf Reisen? Dr. Sommerferien freut sich über Ihre E-Mail an info@akte.ch.