P.V. Rajagopal, der engagierte Kämpfer für die Rechte der Landlosen und der Urbevölkerung in Indien,  machte auf seinem diesjährigen Besuch in der Schweiz am 10. Juli auch einen Abstecher nach Basel. Der arbeitskreis tourismus & entwicklung nutzte diese Gelegenheit zu einem Gespräch. Nach einem herzlichen Empfang kam der Gast gleich zur Sache:

Basel, 22.08.2008, akte/
P.V. Rajagopal:
Was uns zu schaffen macht, ist der so genannte „Tiger Tourismus“. In Madhya Pradesh gibt es 11 Nationalparks mit 32 Wildreservaten. Dafür wurden 1,5 Millionen Adivasi* vertrieben. Ein anderes Beispiel ist Orissa: Dort leben die so genannten Baigas, ein Urvolk von Waldbewohnern. Gemäss dem Nationalen Waldschutzgesetz von 1984 gehört das Land dem Volk, das vor 1980 dort gelebt hat. Die Baigas lebten ursprünglich in den Bergen im Wald, aber in der Kolonialzeit wurden sie von dort vertrieben, und das Holz und die Minen wurden von den Kolonialherren ausgebeutet. Also zogen sie ins Tal. Jetzt hat ihnen die Regierung das Land genommen, um dort ein Tiger-Wildreservat zu schaffen. Davon sind nicht nur die Bagas betroffen, die im Parkgebiet wohnen. Die Leute ausserhalb der Parkzone leben in den so genannten Pufferzonen. Dort können sie zwar Land bebauen, dies aber nicht gegen Wildtiere wie z.B. Wildschweine schützen. Wir von Ekta Parishad fragen: Welche Garantien gibt die Regierung den Bauern in den Pufferzonen, dass sie ungehindert ihre lebensnotwendigen Produkte anbauen können?

Es gibt viele Klagen wegen wildernder Adivasi
Es gibt ein feudales Element in diesem ganzen Komplex von Hotels und Wilderei. In dem sich auch die Regel zeigt: „Wer Geld hat, dem ist alles erlaubt“. Oft sind Wilderer Hotelgäste, die auf Safari gehen und sich einen Tiger als Trophäe sichern. Als Schuldige kommen aber die Adivasi ins Gefängnis. Die Wildhüter behandeln sie im Allgemeinen mit Verachtung, bedrohen Zeugen und sorgen so dafür, dass die zahlenden Hotelgäste zu ihrem Freizeitspass auf Kosten der Adivasi und der Tiger kommen. Die Touristen besuchen den Kanha Salinen- Bambus und Tigerpark, oder das Tadoba-Andhari oder Pench Reservat in Maharashtra, oder das Indarvati in Jabalpur im Bundesstaat Jharkand. Da stellt sich doch die Frage: Wie viele Adivasi will die Regierung eigentlich zugunsten der Tiger vertreiben? Wir fordern Gerechtigkeit für die Adivasi, die zugunsten des Tiger-Tourismus vertrieben worden sind und mit Verachtung behandelt werden.

Wer verdient eigentlich an den Tiger-Resorts?

Bei den Investitionen gilt das Gebot des 50 Prozent Inland, 50 Prozent Ausland. Ein wichtiger indischer Investor sind zum Beispiel die Taj Hotels, welche zur Tata-Gruppe gehören. Am wenigsten verdienen die Adivasi: Oft verdingen sie sich als Sicherheitsleute, wenn sie ihr Land verloren haben. Sie schützen also dasselbe Land, das ihnen vorher gehört hat, für jene, die ihnen das Land genommen haben. Wer das ländliche Indien kennt, weiss, dass es dort mafiös zu und hergeht. Die Mitarbeiter von Ekta Parishad wurden zweimal von der örtlichen Tourismuslobby verprügelt, als sie untersuchen wollten, wie es um das verbriefte Recht der Adivasi steht, Feuerholz zu sammeln. Die Lobby toleriert keine Fragen. Und von alledem wissen die Touristen natürlich nichts.

Was tut Ekta Parishad dagegen?
Unsere Arbeit besteht einerseits darin, die Adivasi darin zu unterstützen, sich für ihre Landrechte einzusetzen, andererseits bieten wir Hilfe, wenn es darum geht, sie aus den Gefängnissen zu holen. Wir haben uns auch mit einer Briefkampagne an den Premierminister gerichtet. Wir fragen ihn, was er für die Rechte der Adivasi zu tun gedenkt, was er für ihre Rehabilitation vorgesehen hat. Wir setzen uns bei den höchsten Regierungsstellen dafür ein, dass die Adivasi für den Verlust ihres Landes und den Ernteausfall entschädigt werden. Und wir sind dabei, selbst ein Tourismusprojekt aufzuziehen. Geplant ist, Reisen anzubieten, bei denen Touristen in den Dörfern mit den Adivasi in Kontakt kommen. Die eine Route führt durch Dörfer in Zentralindien, in Madhya Pradesh, Chattisgarh und Orissa. Die andere durch Tamil Nadu und Kerala im Süden.

Was bietet ihr den Touristen?
Wir bieten ihnen einen anderen Blick, einen Hintergrund. In Orissa nahe der Bucht von Bengalen gibt es zum Beispiel den Chilka See. Eine wunderbare Gegend, wichtig als Brutstätte für Vögel, mit vielen Lagunen. Viele Adivasi leben dort von der Fischerei. Das erste Problem waren die Riesencrevettenzuchtanlagen, für die ein Drittel des Sees gesperrt wurde. Damit verloren 200’000 Adivasi ihre Fischereirechte, sie wurden arbeitslos und hungerten. Dann wollte die Regierung den Tourismus fördern und setzte Delfine aus. Wieder verloren viele Adivasi ihre Fischereirechte. Ausserdem unterstützte die Regierung einen neuen Durchbruch zum Meer hin, der zu einer weiteren Versalzung der ursprünglichen Fischereireviere der Adivasi führte, die „Crevettenmafia“ bevorzugte und das ökologische Gleichgewicht zusätzlich durcheinander brachte. Die Delfinpopulation ist auf noch rund 50 Exemplare geschrumpft. Viele ehemalige Fischer können höchstens als Bootsfahrer für Touristen ein Einkommen finden. Aber sie sind stolze Leute. Es fällt ihnen schwer, den Gästen die Schuhe abzunehmen, um ihnen ins Boot zu helfen. Wir zeigen den Touristen die Schönheit des Chilka Sees und zugleich die Folgen eines Tourismus, der an der Lokalbevölkerung vorbei geplant wird. Damit die Touristen auch aktiv werden können, werden wir einen Rechtshilfefonds für Adivasi einrichten, für den sie spenden können.

Die indische Regierung hofft, das Land mittels Industrialisierung und Tourismus zu entwickeln. Was ist daran falsch?
Die Industrialisierung und der Tourismus bringen nur der Oberschicht und dem Mittelstand etwas, die Adivasi und weitere Gruppen der traditionellen armen Landbevölkerung zahlen die Kosten. 70 Prozent der Inderinnen und Inder leben heute noch auf dem Land und sind von der Landwirtschaft abhängig. Es gibt genügend Studien, die zeigen, dass diese Lebensweise wirtschaftlich ist. Dies bedingt aber, dass diese armen Bauern verbriefte Landrechte erhalten, um ihre Lebensgrundlagen sichern zu können. Es kann nicht sein, dass ein so grosser Teil der Bevölkerung ihrer Existenzbasis beraubt wird, um für den Export zu produzieren oder Tourismus zu betreiben. Wir müssen die Ökonomie der Gier (economy of greed)  in eine Ökonomie des Bedarfs (economy of need) transformieren. Ein schwieriges Unterfangen, wo so viel strukturelle Gewalt herrscht. Auf den Fussstapfen von Mahatma Gandhi leisten wir gewaltlosen Widerstand. Wir setzen auf politische Arbeit, auf eine Mobilisierung nach dem Vorbild Gandhis, die Zusammenarbeit statt Wettbewerb fördert. In Kerala nehmen mit der Zunahme der Ungleichheit beim Einkommen die Spannungen zu. Das führt zur so genannten religiösen Gewalt, etwa gegen Kirchen und Moscheen. In Puri/Orissa kämpfen die Leute gegen die Ausbeutung ihres Landes durch die Minengesellschaften. Die Adivasi  und die arme ländliche Bevölkerung müssen wieder über ihre Ressourcen, ihr Land, ihr Wasser und ihre Wälder bestimmen können. Mit dem Weg, den die Regierung eingeschlagen hat, werden wir die Millenniumsziele nicht erreichen können.

Wo erhält Ekta Parishad Unterstützung?
Ekta Parishad heisst solidarischer Bund. Wir arbeiten in über 60 Distrikten in acht Bundesstaaten. Das sind 4000 Dörfer mit über 5 Millionen Menschen, die mit uns für die Rechte der armen Landbevölkerung und der Adivasi kämpfen. Es gibt mittlerweile in sieben europäischen Ländern Organisationen, welche im loosen Netzwerk „Ekta Europe“ zusammengeschlossen sind und unsere Arbeit ideell und finanziell unterstützen. In der Schweiz ist dies der Förderverin CESCI, der auch einige sehr aktive Mitglieder in Basel hat. Der Förderverein unterstützt ein, von Rajagopal gemeinsam mit der Schweizerin Maya Koene vor 15 Jahren gegründetes internationales Begegungszentrum in Südindien, das Besucher/innen aus Europa ermöglicht, soziale und kulturelle Projekte in Indien in kennenzulernen. Bei meinem gegenwärtigen Besuch in der Schweiz, habe ich auch den rund 1000 Schülerinnen und Schülern der Kantonsschule in Bülach danken können, die durch vielfältige lokale Aktionen unseren grossen Marsch – Janadesh – im letzten Oktober mit rund 24’000 Franken unterstützten. Janadesh war ein eindrücklicher Grossanlass, bei dem 25’000 Landlose und Adivasi während 4 Wochen zu Fuss dreihundert Kilometer von Gwalior nach Delhi marschierten, um ihre Forderungen nach einer längst überfälligen Landreform der Regierung zu präsentieren. Eine Gruppe engagierter junger Leute aus Basel organisierte in diesem Zusammenhang den Solidaritätsmarsch Land-for-Life mit 200 Teilnehmenden von Basel nach Genf. Wenn ich laufend weitere solche Partner und Freunde finde, lässt uns das hoffen. Anstatt nur die Wirtschaft zu globalisieren, müssen wir die Solidarität globalisieren.
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P.V. Rajagopal: 1948 in Kerala/Südindien geboren, verwirklichte Rajagopal seinen Kindheitstraum und absolvierte eine mehrjährige Ausbildung als Kathakali-Tänzer. Danach studierte er an der landwirtschaftlichen Hochschule des *Gandhi-Ashrams, wo er für die Probleme der Landbevölkerung sensibilisiert wurde. Seitdem setzt er sich im Sinne Gandhis für Benachteiligte und Unterprivilegierte ein und kämpft in ganz Indien für bessere Lebensbedingungen der Landbevölkerung und der Landlosen.

In seinem hartnäckigen Widerstand gegen Missstände verbindet er soziales Engagement mit fundiertem Wissen und künstlerischen Aktivitäten. Alle Aspekte seiner Arbeit werden vom Prinzip der Gewaltlosigkeit geleitet.
Seit gut einem Jahr ist P.V. Rajagopal „Vice-Chairman“ der „Gandhi Peace Foundation“. Er ist eine charismatische und inspirierende Führungspersönlichkeit für die Organisation „Ekta Parishad“ („Solidarischer Bund“), die er vor 15 Jahren gegründet hat. Diese engagiert sich für die Durchsetzung längst beschlossener – aber durch Machtinteressen, Gewalt und Korruption behinderte – Reformen und Rechte für die Landlosen in Indien, um die Erhaltung ihrer Lebensgrundlagen Wasser, Land und Wald. zu sichern.

*Adivasi: Das Hindi-Wort für erste Menschen, die Urbevölkerung.
*Ashram (Sanskrit āśrama) bezeichnet ein klosterähnliches Meditations- und Bildungszentrum, dessen spiritueller Leiter Guru genannt wird.

Informationen zu Rajagopals Arbeit:
Ekta Parishad: www.ektaparishad.org
Förderverein CESCI: info@cesci.ch; www.cesci.ch

Mehr zum Tourismusprojekt:
www.indiavillagetours.com und
www.saidindiavillagetours.com  
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