Ohne Einchecken und Durchleuchten, ohne Aufregung ob des in der Handtasche vergessenen Taschenmessers, ohne langes Warten steigen wir mitten in der Stadt in den Nachtzug, nach Budapest zum Beispiel, erste Etappe unserer Reise nach Istanbul. In unserem Abteil, am Tischchen mit den zwei Sesseln, stossen mit einem Glas Wein auf die Ferien an und können beim Schlafwagenschaffner unsere Frühstückswünsche anbringen, bevor wir uns nach dem Zähneputzen im winzigen Badezimmer in die frisch bezogenen Betten legen. Ein kaum spürbares Schaukeln und vertraute Geräusche wiegen uns bald in den Schlaf. Der Schlafwagenschaffner kümmert sich um die Passkontrolle und wird uns rechtzeitig wecken.

Wir sind überzeugte Zugreisende. Aus Klimaschutzgründen, natürlich – etwa 20 Mal geringer ist der Ausstoss an Treibhausgasen, als wenn wir die gleichen Strecken im Flugzeug zurücklegen würden – aber auch, weil es uns gefällt. Was war das für eine erlebnisreiche Reise vor drei Jahren nach Istanbul und zurück durch den Westbalkan. Nach zwei Tagen in Budapest ging’s weiter nach Sofia. Wir sahen nicht nur die prunkvolle Stadt, mit ihrer immer noch spürbaren K&K-Vergangenheit, sondern auch ein wenig vom Land, von seiner Weite, den Dörfern und unbekannten Städten. Irgendwie fühlten wir uns in die Kindheit zurückversetzt. War es, weil die Dörfer uns an die Ferien bei den Grosseltern erinnerten oder wegen dem regelmässigen Padam des Zuges auf den noch nicht zusammengeschweissten Schienen? In Sofia dann die böse Überraschung: Den komfortablen alten Nachtzug nach Istanbul, von dem wir gelesen hatten, gibt es nicht mehr. Kein Problem, meinte unsere Sofioter Bekannte Martina, nehmt doch einfach einen Nachtbus. Das war dann einiges weniger angenehm, aber ein unvergessliches Erlebnis. Im Morgengrauen rechts und links Dutzende von Wolkenkratzern und gleichzeitig das Schild "Istanbul – 20 km" am Strassenrand zu entdecken, gab uns eine Vorstellung von den Dimensionen der Stadt, von denen beim Besuch der üblichen Touristenziele rund um den Bosporus kaum etwas zu spüren ist.

Eine Zugfahrt über Grenzen macht kulturelle Vielfalt und Übergänge spürbar. Langsam und fast unmerklich verändert sich die Landschaft, und doch ist da plötzlich irgendwann das Gefühl, jetzt riecht es nach Süden, jetzt sind wir weit weg von zuhause, in einer anderen Welt.  

Die Fahrt von Sarajewo nach Zagreb führt durch ein langes grünes Tal, dem Fluss Bosna entlang. Nach und nach werden die Moscheen seltener, tauchen Kirchtürme inmitten der kleinen Dörfer auf, sind Schweine zu sehen auf einzelnen Gehöften. Wir nähern uns der Grenze zu Kroatien. Doch da ist keine Grenze, die alles verändert, sondern ein allmählicher Übergang, auch wenn sich die jugoslawischen Kriege der 1990er Jahre – auch davon sind hier und da noch Spuren zu sehen – die Unterschiede zum Vorwand machten, die „Anderen“ zu bekämpfen. Da wir diesmal tagsüber reisen, kommen wir ins Gespräch mit Studentinnen und Angestellten und tauschen mangels gemeinsamer Sprache das eine oder andere Lächeln mit zusteigenden Bäuerinnen aus. Der in einer Provinzstadt zugestiegene Schweizer erzählt uns, dass er per Lastwagen das Material geliefert hat, aus dem dort Uniformen für SBB-Mitarbeiter genäht werden. 

Es gäbe noch viel zu erzählen von diesen Reisen: Etwa vom Wind in den Haaren und dem Blick auf die Weite des Meeres auf dem Schiff, das wir in Genua bestiegen haben. Nach einer Nacht und einem Tag an Bord, wird die Küste Siziliens sichtbar, wir stehen am Bug, beobachten, wie die Bucht von Palermo näher kommt, wie die Stadt sich über die Hügel erstreckt. Ausgeruht und vom Geruch und der Weite des Meeres schon richtig in Ferienstimmung steigen wir aus. Oder vom AVE, dem spanischen Hochgeschwindigkeitszug,  

der uns mit 300 Stundenkilometern von Andalusien nach Barcelona bringt. Von der Begegnung im Morgengrauen am Bahnhof in Triest, wo wir einen Rucksacktouristen trafen, der uns schon auf dem Fährschiff von Igoumenitsa aufgefallen war. Es stellte sich heraus, dass es ein WWF-Mitarbeiter war, der nach einer Konferenz in Griechenland auf dem See- und Landweg zurück reiste. Nur er macht so was und wir verrückten Grosseltern, dachten wir. Warum eigentlich? Da wünschen wir uns, dass die sich im Vielfliegerland Schweden entwickelnde “Flugscham“ um sich greife, dass die Leute sich zum Klima Gedanken machen und die Vorteile des Zugreisens (wieder) entdecken. Denn aller meistens ist es nicht Mühsal, sondern eine genussvolle und bereichernde Art des Reisens, die glücklich macht.   

Aufbruchs-Challenge: Wer macht mit?

"Machen ist wie Wollen, nur krasser", war auf Transparenten an den Klimademos zu lesen. Das wollen wir doch gleich versuchen! Für ein Jahr – also bis zum 20. März 2020 – machen wir einen grossen Bogen um Flugplätze und Kreuzfahrtschiffe und reisen erdgebunden: aus eigener Kraft, per Bahn oder Fähre. Wir wollen die An- und Rückreise als Teil unserer Ferien neu erfahren und kreativ alternative Routen und Transportmittel entdecken.

Machen Sie mit? Dann setzen Sie ein Zeichen Ihres Engagements und klicken Sie bei unserer Facebook-Umfrage auf "ich bin dabei" – oder eben auf die andere Option "ist grad nichts für mich".

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