„Wir können nicht nur auf den Tourismus setzen“
Basel, 15.01.2008, akte/ Sumesh Mangalassery, Kampagnenkoordinator von „KABANI – the other direction“, ist Autor des neu erschienenen Reiseleitfadens „fair unterwegs in Kerala“. Er beurteilt im Interview mit dem arbeitskreis tourismus & entwicklung die Auswirkungen des Tourismus für die lokale Entwicklung kritisch. Doch er sieht auch Chancen. Der Tourismus könnte Ansporn für lokale UnternehmerInnen sein, sich in Richtung mehr Marktwirtschaft und Qualitätsbewusstsein zu entwickeln.
Der Tourismus in Kerala boomt…
Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Bei der Berechnung, was der Tourismus zum Bruttoinlandprodukt beiträgt, wird alles mitgezählt und oft doppelt verrechnet. Wenn der Tourist zum Beispiel in der Hauptstadt Keralas, Trivandrum, ankommt, wird er gezählt, und wenn er danach woanders hinreist, wird er wieder gezählt.
Wie kommt das?
Die Tourismuspromotoren brauchen diese Übertreibung, um Investitionen anzuziehen und Subventionen und Erleichterungen zu erhandeln. Es ist eine Strategie, um zu belegen, dass Tourismus ein Entwicklungsmodell ist, das wirklich etwas bringt.
Und bringt es etwas?
Ja schon, aber für wen? Unsere Untersuchungen zeigen: Es gewinnen vor allem die Big Player, die grossen Investoren und Hoteliers. Aber die Möglichkeiten für die Lokalbevölkerung sind minimal. Die Grossen bringen ihre Mitarbeitenden von anderen Bundesstaaten. Dies aus Angst vor den Gewerkschaften in Kerala – obwohl es für den Tourismus noch gar keine Gewerkschaften gibt. Nur gerade das am schlechtesten bezahlte Personal stammt aus der Lokalbevölkerung. Dessen Arbeitsbedingungen sind sehr prekär und verletzten eine ganze Reihe nationaler und internationaler Arbeitsrechte.
Aber so haben die Leute doch zumindest eine Arbeit? In Kerala ist die Arbeitslosigkeit ja auch für indische Verhältnisse hoch.
Die meisten Hotels stellen PraktikantInnen im Service an. Meist Absolventen einer Tourismus- oder Hotelfachschule. Das Praktikum wird auf etwa drei bis vier Jahre angelegt. Die PraktikantInnen arbeiten zu minimalen Löhnen, wenn sie überhaupt bezahlt werden, ohne Vertrag und ohne Sicherheit auf eine Anstellung nach dem Praktikum. Zudem wird in der Statistik nie berücksichtigt, dass viele Leute ihren Lebensunterhalt wegen des Tourismus verlieren, besonders die wenig privilegierten Fischer und Bauern. Die Fischbestände gehen aufgrund der Wasserverschmutzung zurück und der Fisch schmeckt häufig nach Kerosin. Die Bäuerinnen leiden oft an Hautkrankheiten, weil auch das Wasser in den Reisfeldern verschmutzt ist. Wenn sie dann ein Einkommen im Tourismus finden, ist es meist eine informelle Arbeit, wie der Verkauf von Früchten oder von „Longis“ (Tüchern). Die Hoteliers der grossen Resorts meinen, diese informellen HändlerInnen stören ihre Gäste am Strand, und hindern sie an ihrer Arbeit – oft auch mit Hilfe der Polizei. Die informellen HändlerInnen nehmen für ihre Investitionen Geld auf. Bleiben sie dann auf ihren Produkten sitzen, so können sie den Kredit nicht zurückzahlen. Die Zinsen sind horrend, und sie geraten in die Schuldenfalle. Das ist nicht wirklich eine Alternative zum Lebensunterhalt, wie sie ihn vorher hatten.
Gibt es denn nicht Gesetze zum Schutz der Umwelt und der Rechte der Fischer und Bauern?
Wir hatten bis vor kurzem gute Gesetze, welche die Küstenzone und die Lokalbevölkerung schützte, nämlich die sogenannte Küstenregulierung (Coastal Zone Regulation), die festschrieb, wo wie viel Küstenzone frei von Bauten und anderen Infrastrukturen gelassen werden müssen. Jetzt hat die Regierung ein neues Gesetz, die Coastal Zone Management Bill, vorgeschlagen, welches die Regierung in Kürze verabschieden will – ohne es ins Parlament zu bringen. Das neue Gesetz nimmt die Tourismusindustrie von der Küstenregulierung aus, das heisst sie kann neue Hotels bauen, wo immer sie will. Dies verletzt das traditionelle Recht der Fischer. Denn nun wird den Einheimischen der Zugang zu den Hotelkomplexen und damit zum Strand verwehrt. Dazu gibt es viele Fallstudien, auch im neu erschienenen Reiseleitfaden. Das Vorhaben stösst bereits jetzt auf grossen Widerstand in der Lokalbevölkerung. Die Regierung hatte auch Pläne für Sonderwirtschaftszonen, in denen die Rechte der Lokalbevölkerung zugunsten der touristischen Investoren noch mehr beschnitten würden. Die Regierung hat uns aber zugesichert, dass sie inzwischen die Pläne fallen gelassen hat.
Wo die Entwicklung des Tourismus forciert wird, sind offenbar auch in Kerala Landkonflikte an der Tagesordnung?
Es geht eben nicht nur um Gesetze, sondern um die Ausrichtung der Entwicklung generell. Die liberalisierte Tourismuspolitik der Regierung hat zu einem nicht nachhaltigen Wachstum der Tourismusbranche in Kerala geführt. Die Investoren können das Land von den Einheimischen erwerben und so ihre Tourismusanlagen an der Küste bauen. Die lokalen Gemeinschaften stehen teils unter massivem Druck, auch wenn wir in Kerala noch nicht gerade Schlägertrupps haben, welche die Leute einschüchtern. Dazu ist die Zivilgesellschaft zu stark. Aber die Fischer verkaufen oft, weil sie Schulden haben. Denn mit der touristischen Entwicklung sind die Preise gestiegen. Die Gemeinschaften erhalten zwar Geld für ihr Land, verlieren aber ihre Lebensgrundlage. Vielen reicht das Geld aus dem Landverkauf dann doch nicht, um im Landesinnern eine Alternative zum Fischen aufzubauen.
Sehen Sie überhaupt eine Möglichkeit, wie der Tourismus zur Entwicklung Keralas beitragen könnte?
Meiner Meinung nach können wir uns nicht nur auf den Tourismus abstützen. Es ist ein volatiles und saisonabhängiges Business. Aber er kann eine Komponente der Entwicklung sein. Fischer- und Bauernfamilien können ihr Einkommen mit touristischen Dienstleistungen ergänzen: „Homestays“ (Zimmervermietung), Verkauf von Produkten an Hotels, Fahrdienste, Führungen für TouristInnen, Herstellung und Verkauf von Souvenirs. Dabei sollte mehr Verarbeitung bei den Bauern selbst geschehen, damit sie nicht nur Rohstoffe oder Arbeitskraft verkaufen. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass die Gemeinschaften ihre Einkommensquellen diversifizieren. Das heisst nicht nur, aber auch Tourismus. Tourismus kann für die Entwicklung neuer Einkommensquellen auch ein Katalysator sein. Zum Beispiel die Entwicklung von Biolandbau, Wärmekompost, Trockenblumenverarbeitung, Molkerei. Dabei sind die Verbesserung der Qualitätsstandards und damit die Weiterbildung sehr wichtig. Die Gemeinschaften müssen lernen, marktwirtschaftlich zu denken. Regierung und Wirtschaft sollten solche Bemühungen unterstützen.
Wie verhalten sich TouristInnen in Kerala möglichst fair?
Wir können den TouristInnen leider kein Fair Trade Label für touristische Angebote bieten, und wir haben auch keine Bewertung der Unterkünfte vorgenommen. Es ist also für Reisende nicht einfach möglich, aus dem Internet oder dem Katalog ein faires Angebot zu buchen. Aber aus der Perspektive der Einheimischen gibt es ein paar wichtige Kriterien, die nicht nur ihre Anliegen respektieren helfen, sondern die Ferien auch für die Reisenden erlebnisreicher machen. Die wichtigste Faustregel: Bereiten Sie sich gut vor, um auch die lokalen Erwartungen zu kennen. Fragen Sie im Hotel nach den Standards für Abwasserentsorgung, Nachhaltigkeit, Arbeitsbedingungen usw. Fragen Sie nach, wie Sie auch abseits der üblichen touristischen Pfade Touren unternehmen können. Und natürlich: Halten Sie sich an die Grundregel: „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem andern zu.“
KABANI-the other direction ist eine kleine Initiative in Kerala/Südindien, die sich für eine nachhaltige Tourismusentwicklung einsetzt und dabei auch die negativen Auswirkungen des Tourismus zur Sprache bringt.