"Ladhange – Jeetenge". Der Chor der Stimmen schwillt an, Fäuste recken sich empor: "Wir werden kämpfen, wir werden gewinnen". Der Slogan der Dalit, der kastenlosen indischen Bäuerinnen und Bauern, ist für Shantabai Saundermaul soeben in Erfüllung gegangen. Aufgeregt platzt die 35jährige Frau in die Versammlung in Upali, einem Dorf im Bundesstaat Maharashtra, und präsentiert ein Stück Papier: "Hier ist meine Landurkunde". Gestern habe sie sie erhalten, erzählt Shantabai dem Dalit-Führer Eknath Awad, der die Versammlung leitet: "5 Aren bestes Land". Eknath ist zufrieden. Die Mühlen der Bürokratie mahlten zwar langsam, sagt er, doch es gehe vorwärts: "Schritt für Schritt, Urkunde um Urkunde".

Der charismatische Mann ist der Gründer des "Rural Development Center" (RDC), einer von SWISSAID unterstützten Organisation, die gegen die Ausbeutung der Dalit kämpft. "Ohne eigenes Land gibt es kein anständiges Leben", weiss Eknath. Und so machte er Dalit-Familien Mut, kommunales Weideland zu besetzen und so das Versprechen der Regierung einzufordern, das diese nie eingelöst hatte: den Dalit zu Grund und Boden zu verhelfen. Die lokale Oberschicht wehrte sich, versuchte die Dalit  einzuschüchtern. Doch sie pochten auf ihr Recht und setzen sich durch – "dank der Unterstützung von SWISSAID", betont Eknath. Heute können dank RDC rund 50’000 Bauernfamilien in drei Regionen Maharashtras ihr eigenes Land bestellen. 4’000 Landtitel sind schon ausgestellt, tausende weitere Familien warten aber noch auf das ersehnte Dokument.

Gesichertes Einkommen
Eine von ihnen ist die Familie von Kishan (62) und Kamalbai Ichke (55). "Wir arbeiteten hart auf den Feldern der oberen Kasten" erinnert sich Kishan. Und als Lohn habe es oft nur ein hingeworfenes Stück Roti (Fladenbrot) gegeben, denn die Dalit gelten nichts in der indischen Gesellschaft. Galten nichts, muss man sagen, denn heute ist alles ein wenig anders, wenigstens in Upali. "Eknath und seine Leute informierten uns über unsere Rechte", sagt Kamalbai, "und so fassten wir Mut und besetzten Land am Rand des Dorfes, das ungenutzt war. Das hat unser Leben völlig verändert".

Tatsächlich: Voller Stolz gehen Kishan und Kamalbai in ihre Baumwollfelder und pflücken die weissen Bällchen. Ernte und Preise sind gut dieses Jahr, und der Ertrag ist stark gestiegen, seit die Familie mit Unterstützung von RDC auf biologischen Landbau umgestiegen ist. Das Wichtigste aber: "Seit wir eigenes Land bearbeiten" betont Kishan, "haben wir ein gesichertes Einkommen und stets ausreichend zu essen". Neben der Baumwolle pflanzt die Familie auf sieben Aren Land Hirse, Sorghum, Weizen, Linsen, Gemüse und Chili an.

Noch fehlt die Urkunde
Die Baumwolle wird mit der Autorikscha zur nahen Fabrik gefahren, wo sie gereinigt und verpackt wird. "Wir sind stolz, unsere eigene Baumwolle zu verkaufen", sagt Lahu. Er sei heute Landbesitzer und werde respektiert, doch der Kampf der Dalit gehe weiter: "Wir müssen noch vielen anderen Bauern helfen, zu ihrem Recht zu kommen". Immerhin hätten sich die Beziehungen zwischen den Kasten im Alltag schon stark verbessert, ergänzt Lahus Mutter Kamalbai: "Heute können wir in Würde leben und arbeiten". Ihr grösster Wunsch ist nun, dass ihre Enkel nicht nur in die Schule, sondern an die Universität gehen können.

Nur eines fehlt der Familie Ichke noch: die eigentliche Landurkunde. Ihr Antrag ist – wie tausende andere – von der Distriktverwaltung zwar genehmigt, wird aber von unteren Chargen der Bürokratie, die oft mit der örtlichen Oberschicht verbandelt ist, nicht umgesetzt. "Wir sind sicher, dass es klappen wird, denn wir haben das Recht auf unserer Seite und die Unterstützung von RDC und SWISSAID", sagt Kishan Ichke. Und manchmal, fügt er schmunzelnd an, brauche es halt neben viel Mut auch etwas Geduld. Sagt’s und hebt als Abschiedsgruss die Faust: "Zindabad – der Sieg ist  unser".
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*SWISSAID-Jahreskampange 2011:
"Mit Mut im Kampf gegen den Hunger"

Es gibt ein wirksames Rezept, um den Hunger zu bekämpfen: Mut pflanzen: So unterstützt SWISSAID in neun Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas Bauerngemeinschaften in ihrem mutigen Kampf für ihre Rechte und gegen Hunger und Ausbeutung. Im indischen Bundesstaat Maharashtra haben sich tausende Dalit-Familien mit Hilfe von SWISSAID Landrechte erstritten.

SWISSAID gehört zu den Trägern des arbeitskreises tourismus & entwicklung

Informationen und Material zur Swissaid-Jahreskampagne: www.swissaid.ch
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