Fragen Ihre Kunden gezielt nach Voluntourismus-Angeboten?

Nein. Im Rahmen unserer Reisen ermöglichen wir aber Begegnungen und besuchen Projekte, die wir über die gemeinnützige StudiosusFoundation e.V. fördern. Da kann es durchaus vorkommen, dass Gäste sich nach der Reise in einem Projekt engagieren wollen und direkten Kontakt aufnehmen.

Sehen Sie einen Markt für Voluntourismus?

Voluntourismus würde ich eher für junge Menschen als attraktiv einschätzen, das ist aber nicht unser Zielpublikum.

Studiosus bietet solche Reisen bewusst nicht an. Warum?

Weil wir der Meinung sind, dass Voluntourismus rein wirtschaftliche Gründe hat, also den Projekten selbst nicht unbedingt etwas bringt. In der Regel ist es der Wunsch der Teilnehmer, sich selbst zu verwirklichen oder sich neue Ziele zu setzen. Kaum jemand bedenkt wirklich, was dies für das Projekt und für die Menschen bedeutet, mit denen ich vor Ort arbeite.

Könnte Voluntourismus so gestaltet werden, dass er tatsächlich nachhaltig wirkt?

Es bedürfte einer kompletten Neuorganisation. Bei den Projekten müsste man ganz klare Standards aufstellen, so dass sie für beide Seiten sinn- und gewinnbringend sind – und zwar nicht nur finanziell. Die Freiwilligen brauchen interkulturelle Vorbereitung auf das Land, auf das Projekt sowie Vor-Ort-Betreuung und Nachbereitung. Organisatorisch ist das alles von uns nicht leistbar und wir wollen es auch nicht aufbauen – weder als Reiseveranstalter noch als Foundation.

Wie unterstützt die StudiosusFoundation e.V. Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern?

Wir arbeiten in den Ländern, die von Studiosus bereist werden, mit vorwiegend lokalen Organisationen zusammen. Hauptsponsor ist Studiosus als Reiseveranstalter. Die Foundation ist ein gemeinnütziger Verein und arbeitet in der Projektdurchführung selbstständig. Wir fördern bestehende, möglichst kleine Projekte, die keine Unterstützung von grösseren Organisationen bekommen. Zum Beispiel unterstützen wir in Kambodscha eine Computer- und Englischschule, die von einem Local Guide nahe der Touristenhochburg Siem Reap gegründet wurde. Das langfristige Ziel ist es, junge Menschen aus der Gegend für die Tourismusbranche auszubilden und so die Abwanderung zu verhindern.

Machen Sie das in allen Schwellen- und Entwicklungsländern, in die Sie reisen?

Wir bemühen uns darum. Im Moment haben wir etwa 60 Förderprojekte, die auch während der Reisen besucht werden. Die Gäste bekommen einen Einblick, können Gespräche führen und sehen, wo unsere Gelder hinfliessen.

Was wird den Reiseteilnehmern gezeigt?

Das ist unterschiedlich. Wir überlassen die Projekte den Einheimischen, weil wir nicht von oben herab dirigieren wollen, was zu tun ist. Sie sollen aus ihren Möglichkeiten heraus ihre Arbeit vorstellen und das Positive, aber auch ihre Alltagsprobleme vermitteln. Wir wollen ja nicht nur schicke Musterschulen vorführen und Kinder aufstellen, die dann Lieder singen.

Wie oft besuchen Sie ihre Projekte?

Auf jeder Reise, die Häufigkeit ist aber unterschiedlich, je nachdem, wie viele Termine eine Reiseserie hat und wie belastbar das Projekt ist. Wenn wir wöchentlich drei Gruppen reinbringen, kann das enorm den Alltagsablauf stören. Aber wenn es gewünscht ist und nicht stört, dann könnten wir das machen. Jedes Projekt bedarf einer individuellen Vereinbarung, die seinen Möglichkeiten entsprechen.

Würden Sie Projekte unterstützen, die keine Besuchergruppen zulassen?

Grundsätzlich ist es eine Bedingung, dass wir das Projekt besuchen können. Wir schauen aber genau hin, wie die Belastung ist. Wenn Besuche gar nicht möglich wären, hätten wir ja auch keine Kontrolle. So sehen wir, ob unsere Gelder vereinbarungsgemäss und zweckgebunden eingesetzt werden. Da sind unsere Reiseleiter und letztlich auch unsere Gäste am Beobachten.

Stellt Studiosus die Förderungen ein, wenn es nicht mehr möglich ist, die Projekte zu besuchen?

Nein, gerade in Bezug auf Flüchtlingshilfe nicht. In der Türkei unterstützen wir ein Frauenprojekt. Da können wir jetzt nicht mehr hinreisen, weil es in den Kurdengebieten liegt, nahe Diyarbakır. Hier spielen Sicherheitsfaktoren eine Rolle. Aber wir unterstützen diese Frauenschutz-Organisation weiterhin, weil wir wissen, dass sie dort mit der Betreuung von syrischen Flüchtlingsfrauen stark belastet ist.

Wie verhindern Sie, dass Armut und Leid zur Touristenattraktion werden?

Es geht darum, ein Bewusstsein zu schaffen für ein anderes Land. Wir brauchen schon bei der Reisevorbereitung gute Kenntnisse der politischen Situation vor Ort, der gesetzlichen Grundlagen und der kulturellen Normen. Und wir wollen ein Land mit seiner Geschichte und seiner Gegenwart, seinen Menschen, seiner Tradition und seiner Kultur darstellen. Das funktioniert vor allem über Begegnungen vor Ort. Dazu dienen die Projekte, aber auch gut geschulte Reiseleiter, die die Länder kennen oder sogar aus den Ländern stammen. Wir wollen die einheimische Bevölkerung an der Gestaltung aktiv und partnerschaftlich beteiligen. Zum Beispiel setzen wir uns in vielen Ländern mit den Einheimischen, die im Tourismus tätig sind, an einen Tisch. Es geht beispielsweise darum, die Bauern, die dem Hotel ihre Erträge liefern, zu fragen: Was habt ihr jetzt vom Tourismus? Wo seht ihr Bedarf? Wo drückt euch der Schuh?

welt-sichten Heft 9/2016: Tourismus: Alles für die GästeDieses Interview ist dem spannenden welt-sichten Heft 9/2016 "Tourismus: Alles für die Gäste" entnommen. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
Anriss zum welt-sichten Heft 9/2016:
Für viele Länder im globalen Süden ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle. Das gilt auch für Ecuador: Der Strand von Canoa ist vor allem bei jungen Leuten beliebt. Den Regierungen bietet das die Chance, die Infrastruktur auszubauen und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Einheimischen profitieren oft nicht davon; einige Reiseveranstalter wollen das ändern.

Im Zuge der Diskussionen um die Freihandelsabkommen CETA, TTIP und TISA interessant ist auch welt-sichten Heft 10/2016 "Welthandel: Vom Segen zur Gefahr?":
Der Zweifel an den Segnungen des Freihandels wächst: Zehntausende Menschen haben Mitte September gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA demonstriert. Sind ihre Ängste berechtigt, dass es viele Verlierer und wenige Gewinner geben könnte? Und hilft Handel nicht armen Ländern, ihre Wirtschaft zu entwickeln?  

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