Zehn neue Balis: Profitiert auch die lokale Bevölkerung?
Swisscontact, eine Schweizer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit, unterstützt im Auftrag des SECO seit 2009 die sanfte touristische Entwicklung auf der Insel Flores, 500 Kilometer von Bali entfernt. Das Ziel: die Armut verringern und Arbeitsplätze schaffen. Der nahe Komodo Nationalpark, Heimat des Komodowarans und spektakuläres Tauchrevier, zieht jedes Jahr mehr Touristen an.
Nach jüngsten Plänen der Regierung soll dieses Wachstum durch staatliche Fördermassnahmen massiv vorangetrieben werden. Als Vorbild dient Bali. Swisscontact hat im Frühjahr eine externe Studie in Auftrag gegeben, um die eigene Arbeit auf der Insel Flores kritisch zu beleuchten und zu einer Einschätzung der neuen Regierungspläne zu kommen.
Seit Beginn des neuen Jahrhunderts wird die Tourismusförderung als wichtiger Beitrag innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit betrachtet: Sie trägt potentiell zum Wirtschaftswachstum bei und schafft Arbeitsplätze, auch in vor- und nachgelagerten Sektoren. Die Tourismusindustrie ist arbeitskraftintensiv, sie bietet zahlreiche Stellen für Arbeitskräfte mit geringeren Qualifikationen an.
Zudem wächst der Wirtschaftszweig rasant. Niedrige Markteintrittsbarrieren machen die Tourismusentwicklung insbesondere in Entwicklungsländern zu einer attraktiven Strategie, um Investitionen anzuziehen, Exporteinnahmen zu erhöhen und Arbeitsplätze zu schaffen.
Diese ökonomischen Vorteile beleuchten aber nur einen Ausschnitt des Gesamtbildes. Die weitergefasste Perspektive betrachtet auch sozioökonomische, kulturelle und ökologische Konsequenzen der weltweiten Tourismusentwicklung. Die Bilanz wird nicht nur durch die reine Nettoverrechnung der Effekte sichtbar, sondern hängt stark davon ab, wer wie profitiert und wer was verliert.
Drei Dimensionen der Nachhaltigkeit
Die Studie berücksichtigt drei Dimensionen von Nachhaltigkeit: Menschen, Umwelt und Wirtschaftlichkeit. Pro Dimension wurden sechs tourismusspezifische Unterkategorien genauer untersucht. Ihnen liegen wiederum mehrere Indikatoren zugrunde, die die Verteilung von materiellen und immateriellen Gewinnen und Verlusten ersichtlich machen.
Das in der Studie angewandte "Wirkungsrad" ("Impact wheel") führt zu Ergebnissen, die zugleich Mut machen und alarmieren. Beim jetzigen Stand der Entwicklung profitieren die Florinesen wirtschaftlich auf mehreren Ebenen: Der lokale Arbeitsmarkt funktioniert und das Unternehmertum im "informellen Sektor" – also in der Peripherie der traditionellen Tourismusangebote – wächst. Positiv ist, dass ein Grossteil des generierten Einkommens auf der Insel oder zumindest in Indonesien bleibt, anstatt wie in vielen anderen Destinationen des Südens ins Ausland abzufliessen.
Die Aktivitäten der wachsenden Zahl an Investoren werden dagegen von den Behörden kaum planerisch begleitet. Es kommt zu Spekulationen mit Bauflächen und zu massiv steigenden Preisen für Land, Mietraum und Lebenshaltungskosten. Schliesslich werden zwar viele Arbeitsplätze geschaffen, aber die Gehälter bewegen sich nach wie vor auf Mindestlohnniveau. Die Arbeitsgesetzgebung wird ungenügend durchgesetzt. Die Kehrseite der ökonomischen Effekte sind negative Umweltauswirkungen. Sie manifestieren sich in Wasserknappheit, mehr Müll und ungeklärtem Abwasser.
Komplexe Tourismusentwicklung
Diese Beispiele zeigen, wie komplex Tourismusentwicklung ist und wie wichtig es ist, Projekte ganzheitlich und langfristig aufzustellen. Sollte die Tourismusförderung durch die Regierung lediglich einen schnellen und massiven Ausbau der Transport- und Hotelinfrastruktur fördern, wird Flores bald vor denselben Herausforderungen wie Bali stehen: Die Schere zwischen dem reichen Westen und dem ärmeren Osten des Landes wird weiter auseinandergehen, die sozialen Ungerechtigkeiten weiter verschärfen und die Umwelt wird noch stärker in Mitleidenschaft gezogen.
Eine nachhaltige Destinationsentwicklung limitiert sich nicht auf den Infrastrukturausbau. Sie zielt darauf ab, die Qualifizierung der staatlichen Stellen, der Unternehmen vor Ort, der Ausbildungsinstitutionen sowie der Arbeitnehmer voranzutreiben und sicherzustellen, dass jede Entwicklung in erster Linie die lokalen Systeme stärkt und modernisiert.
Vorteile nur für Wenige?
Die Ergebnisse der Swisscontact Studie in Flores reihen sich in eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien der letzten Jahre in anderen Regionen ein: Tourismusförderer müssen einsehen, dass die Vorteile der wirtschaftlichen Entwicklung durch den Tourismus nicht ohne Weiteres zur lokalen Bevölkerung durchsickern.
Nicht nur die Investitionen sollen gefördert werden, sondern auch die Menschen. Der wachsende Tourismussektor soll ihnen Chancen eröffnen, sich weiterzuentwickeln und ihre Lebensbedingungen aus eigener Kraft zu verbessern. Eine intakte Umwelt bildet die Grundvoraussetzung für die Attraktivität einer Destination. Der Tourismus muss dabei im Verbund mit vor- und nachgelagerten Branchen, wie zum Beispiel der Baumaterialwirtschaft, der Landwirtschaft und dem Handwerk, aber auch in Verbindung mit Investitions- und Steuerpolitik geplant werden, denn nur im System wird der Tourismus wirklich zum Motor für Entwicklung und Wohlstand.
Samuel Bon
ist seit 2011 Geschäftsführer von Swisscontact. Davor arbeitete er 11 Jahre für das IKRK in Genf, u.a. als operativer Leiter für Südostasien und den Pazifikraum.
Die Studie berücksichtigt drei Dimensionen von Nachhaltigkeit: Menschen, Umwelt und Wirtschaftlichkeit. Pro Dimension wurden sechs tourismusspezifische Unterkategorien genauer untersucht. Ihnen liegen wiederum mehrere Indikatoren zugrunde, die die Verteilung von materiellen und immateriellen Gewinnen und Verlusten ersichtlich machen.
Das in der Studie angewandte "Wirkungsrad" ("Impact wheel") führt zu Ergebnissen, die zugleich Mut machen und alarmieren. Beim jetzigen Stand der Entwicklung profitieren die Florinesen wirtschaftlich auf mehreren Ebenen: Der lokale Arbeitsmarkt funktioniert und das Unternehmertum im "informellen Sektor" – also in der Peripherie der traditionellen Tourismusangebote – wächst. Positiv ist, dass ein Grossteil des generierten Einkommens auf der Insel oder zumindest in Indonesien bleibt, anstatt wie in vielen anderen Destinationen des Südens ins Ausland abzufliessen.
Die Aktivitäten der wachsenden Zahl an Investoren werden dagegen von den Behörden kaum planerisch begleitet. Es kommt zu Spekulationen mit Bauflächen und zu massiv steigenden Preisen für Land, Mietraum und Lebenshaltungskosten. Schliesslich werden zwar viele Arbeitsplätze geschaffen, aber die Gehälter bewegen sich nach wie vor auf Mindestlohnniveau. Die Arbeitsgesetzgebung wird ungenügend durchgesetzt. Die Kehrseite der ökonomischen Effekte sind negative Umweltauswirkungen. Sie manifestieren sich in Wasserknappheit, mehr Müll und ungeklärtem Abwasser.
Komplexe Tourismusentwicklung
Diese Beispiele zeigen, wie komplex Tourismusentwicklung ist und wie wichtig es ist, Projekte ganzheitlich und langfristig aufzustellen. Sollte die Tourismusförderung durch die Regierung lediglich einen schnellen und massiven Ausbau der Transport- und Hotelinfrastruktur fördern, wird Flores bald vor denselben Herausforderungen wie Bali stehen: Die Schere zwischen dem reichen Westen und dem ärmeren Osten des Landes wird weiter auseinandergehen, die sozialen Ungerechtigkeiten weiter verschärfen und die Umwelt wird noch stärker in Mitleidenschaft gezogen.
Eine nachhaltige Destinationsentwicklung limitiert sich nicht auf den Infrastrukturausbau. Sie zielt darauf ab, die Qualifizierung der staatlichen Stellen, der Unternehmen vor Ort, der Ausbildungsinstitutionen sowie der Arbeitnehmer voranzutreiben und sicherzustellen, dass jede Entwicklung in erster Linie die lokalen Systeme stärkt und modernisiert.
Vorteile nur für Wenige?
Die Ergebnisse der Swisscontact Studie in Flores reihen sich in eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien der letzten Jahre in anderen Regionen ein: Tourismusförderer müssen einsehen, dass die Vorteile der wirtschaftlichen Entwicklung durch den Tourismus nicht ohne Weiteres zur lokalen Bevölkerung durchsickern.
Nicht nur die Investitionen sollen gefördert werden, sondern auch die Menschen. Der wachsende Tourismussektor soll ihnen Chancen eröffnen, sich weiterzuentwickeln und ihre Lebensbedingungen aus eigener Kraft zu verbessern. Eine intakte Umwelt bildet die Grundvoraussetzung für die Attraktivität einer Destination. Der Tourismus muss dabei im Verbund mit vor- und nachgelagerten Branchen, wie zum Beispiel der Baumaterialwirtschaft, der Landwirtschaft und dem Handwerk, aber auch in Verbindung mit Investitions- und Steuerpolitik geplant werden, denn nur im System wird der Tourismus wirklich zum Motor für Entwicklung und Wohlstand.
Samuel Bon
ist seit 2011 Geschäftsführer von Swisscontact. Davor arbeitete er 11 Jahre für das IKRK in Genf, u.a. als operativer Leiter für Südostasien und den Pazifikraum.