Mitte November findet zum 19. Mal die jährliche Klimakonferenz der Uno statt. Seit gut einem Jahr herrscht ein anderer Wind in den Verhandlungen. Die entscheidende Frage nach der gerechten Lastenverteilung unter den Staaten bleibt jedoch weiterhin unbeantwortet. Die für 2015 angestrebte Einigung auf ein neues Klimaregime droht daran zu scheitern.
Tausende von Länderdelegierten aus aller Welt werden im November nach Warschau fliegen. Sie alle gehen davon aus, dass ihre Flugzeuge unterwegs nicht abstürzen. Schliesslich setzt sich niemand in eine Passagiermaschine, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent vom Himmel fällt.
Hohe Risiken geht die internationale Politik dagegen in Sachen Klima ein: Das ursprüngliche Ziel der Klimakonvention, einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern, wird – wenn alles so weitergeht wie bisher – mit mehr als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit nicht eingehalten. Nur wenn die globalen Co2-Emissionen bis 2050 gegenüber 1990 auf die Hälfte abnehmen, kann die Erderwärmung mit mehr als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit innerhalb der vereinbarten Zwei-Grad-Grenze gestoppt werden. Und damit – um im Bild zu bleiben – der Totalcrash des Klimas vermieden werden. Trotz des steigenden Risikos von häufigeren und grösseren Klimakatastrophen hat auch die Schweiz bisher keine Anstrengungen unternommen, ihre Klimaziele angemessen zu erhöhen.

Anderer Wind oder nur Bluff?

Die Uno-Staaten haben vor zwei Jahren in Durban vereinbart, bis 2015 ein neues Klimaregime auszuhandeln, das für alle Länder verbindliche Klimaziele festsetzt. 2020 soll dieser Vertrag in Kraft treten. Seit gut einem Jahr herrscht ein etwas anderer Wind in den Verhandlungen. Während sich in den vergangenen 20 Jahren fast alle Staaten gegenseitig Nichtstun oder Zu-wenig-tun vorwarfen, um den Mangel an eigenem Handeln zu rechtfertigen, setzt eine Reihe von Staaten nun auf ein "Race to the top". Darunter auch die Schweiz. Durch Darlegen der nationalen Gegebenheiten sowie dem Postulieren nationaler Klimaziele wollen sie positive Konkurrenz erzeugen und damit eine Trendwende herbeiführen.
Ob die Rechnung aufgeht, ist äusserst fraglich. Ein solches Modell soll berücksichtigen, dass in jedem Land besondere Voraussetzungen herrschen, die dessen Möglichkeiten für den Klimaschutz bestimmen. So könnte etwa ein Land wie die Schweiz mit vielen Bergen mehr Strom aus klimaneutraler Wasserkraft erzeugen als etwas Bangladesch. Allerdings, schränken hier VertreterInnen aus der Schweiz ein, sei das Potenzial weitgehend ausgeschöpft und damit ihr zusätzliches Klimaschutzpotenzial bei der Stromversorgung eingeschränkt respektive zu teuer in der Umsetzung. Für Solarenergie seien dagegen sonnenreiche Staaten des Südens besser geeignet.
Die Schweiz könnte aufgrund ihres Reichtums mehr Geld für den internationalen grünen Klimafonds zur Finanzierung von Klimamassnahmen in Entwicklungsländern zur Verfügung stellen. Allerdings zeigt die offizielle Schweiz auch hier keine Ambitionen, über das hinauszugehen, was die weniger reichen europäischen Staaten tun: Sie finanziert Klimamassnahmen in Entwicklungsländern aus dem Budget der Entwicklungshilfe. Auch wenn es Synergien zwischen nachhaltiger entwicklung und Klimamassnahmen (das heisst Klimaschutz und Anpassung) gibt, ist der Klimawandel zu einer zusätzlichen Herausforderung für die meisten Entwicklungsländer geworden. Dazu braucht es entsprechend zusätzliche Finanzierung.
Prinzipien der Klimagerechtigkeit
Der frische Wind in der Klimadebatte droht also schon vor Warschau zum lauen Lüftchen zu verkommen. Es sieht nach wie vor nicht danach aus, dass alle Länder ihren fairen Anteil an den Klimamassnahmen übernehmen. Das Climate Action Network (CAN), ein NGO-Netzwerk, dem auch Alliance Sud angehört, fordert darum einen "Referenzrahmen zur Klimagerechtigkeit". Dieser baut auf drei grundlegenden – im Original auf Englisch formulierten – Prinzipien auf. Nicht selten sind es gewundene Formulierungen, die einen Eindruck von der Komplexität des Themas geben, will man ihr – wie CAN – wirklich gerecht werden.
1. Vorsorgeprinzip und angemessenes Handeln:
Alle Staaten haben die gemeinsame Pflicht, angemessene Massnahmen durchzuführen, die einen gefährlichen Klimawandel verhindern, sowie Massnahmen umzusetzen, welche die Anpassung an die unausweichlichen Folgen des Klimawandels ermöglichen ("Klimaanpassung" ist dabei der Kehrwert zu Angemessenheit: Je weniger angemessen die Klimaschutzmassnahmen sind, umso mehr und teurere Anpassungsmassnahmen werden erforderlich).
2. Gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung:
Wie stark ein Staat verpflichtet ist zu handeln und auch finanzielle Unterstützung zu leisten, das hängt von den historischen und aktuellen Emissionen dieses Staates ab. Von den Emissionen gestern und heute hängt auch das recht eines Staates ab, Unterstützung zu erhalten. Und wer kann, muss auch zahlen.
3. Recht auf nachhaltige Entwicklung:
Es umfasst das Recht aller Länder, ihre BürgerInnen sowohl aus der Armut zu befreien als auch, ihnen einen nachhaltigen und universellen Lebensstil zu ermöglichen. Nachhaltig ist er, wenn ihn auch die nachfolgenden Generationen geniessen können. Universell ist er, wenn er von allen Menschen der Welt gelebt werden kann.
CAN fordert die Einführung von messbaren Gerechtigkeitsindikatoren, welch diese Prinzipien widerspiegeln, um die Anstrengungen und Bedürfnisse aller Länder vergleichbar zu machen. Bevölkerungszahl, Bruttoinlandprodukt und Emissionsmenge sind genauso in die Bewertung der Ambitionen einzubeziehen wie das Pro-Kopf-Einkommen und die Pro-Kopf-Emissionen. Ebenso wäre die Verteilung von Einkommen und Emissionen innerhalb der Staaten bei der Beurteilung von Entwicklungsbedürfnissen zu berücksichtigen.
Mittels einer Reihe von aussagekräftigen Gerechtigkeitsindikatoren sollten alle Staaten transparent darlegen, welche Klimaziele sie in einem neuen Klimaregime übernehmen. Nur wen die Ziele aller Länder ausreichend ambitioniert sind, das heisst angemessen genug, wird die angestrebte Halbierung der CO2-Emissionen bis 2050 gelingen. Und nur wenn die Anstrengungen gerecht verteilt sind, besteht die Chance, dass alle Länder den neuen Klimavertrag ratifizieren werden.
Die Schweiz sollte daher die Einführung solcher Indikatoren unterstützen. Will sie dazu beitragen, für alle Menschen das Risiko eines Klimacrashs zu minimieren, muss sie zudem noch vor 2015 einen "Security-Check" durchführen: Dabei wird sie feststellen, dass sie ihr Ziel der Emissionsreduktionen von 20 auf 0 Prozent hochschrauben und dem internationalen grünen Klimafonds eine Finanzierungsspritze geben muss. Nur so kann ein kontrollierter Sinkflug zu einer sicheren Landung unterhalb des Zwei-Grad-Ziels gelingen.