Zum 5. Geburtstag unseres Reiseportals – ein nachhaltiges Abenteuer
Basel, 26.10.2011, akte/
Christine, wie seid ihr auf die – aus damaliger Sicht – hirnverbrannte Idee gekommen, ein gemeinnütziges Reiseportal zu lancieren, auf dem man nicht einmal Reisen buchen kann?
Christine Plüss (CP): Diese "hirnverbrannte" Idee nahm über viele Jahre hinweg erst richtig Gestalt an. Bereits Anfang der 1990er Jahre erkannten wir, dass sich dem arbeitskreis tourismus & entwicklung als kleiner Organisation immer weniger Möglichkeiten boten, direkt mit Reisenden in Kontakt zu kommen. Professionelle Auftritte etwa an Tourismus-Messen wurden für uns immer aufwändiger und teuerer. Gleichzeitig räumten die Medien der Berichterstattung über den Tourismus und den globalen Süden immer weniger Platz ein. Umso wichtiger wurde unsere Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb begannen wir früh, über die Chancen des aufkommenden Mediums Internet zu diskutieren und fragten uns, wie wir es für die Kommunikation mit den Reisenden nutzen könnten.
Habt ihr mit dieser Idee offene Türen eingerannt?
CP: Keineswegs. Es brauchte viel Konzept- und Überzeugungsarbeit. Denn es fehlte nicht an skeptischen Stimmen, welche Machbarkeit und Nutzen eines solchen Vorhabens in Zweifel zogen. Doch das Team glaubte felsenfest an die Idee und erhielt tatkräftige Unterstützung aus dem Umfeld des arbeitskreises. Die war auch nötig, um die Finanzierung des – für unsere Verhältnisse – riesigen Projekts sicherzustellen. Gehör fanden wir beim Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), das den Aufbau des Onlineportals im Rahmen seiner wirtschaftlichen Zusammenarbeit finanzierte. Die Antragsstellung zog sich aber hin, und das Dossier geriet immer umfangreicher. Wir mussten nämlich das Bedürfnis für ein solches Reiseportal nachweisen, noch bevor wir selbst wissen konnten, ob wir Reisende für diesen Info-Kanal zu gewinnen vermögen. Zudem mussten wir erstmals in unserer NGO-Geschichte einen richtigen Businessplan vorlegen und nachweisen, wie der Betrieb des Portals nach der Projektfinanzierung nachhaltig gewährleistet werden kann.
Was hat euch Mut gemacht, das Projekt durchzuziehen?
CP: Bestärkt hat uns das positive Echo auf unsere erste Kampagne zum Fairen Handel im Tourismus. Trotz bescheidener Mittel gelangen uns erfolgreiche Auftritte an Ferienmessen und Festivals, wo wir mit zahlreichen Reisenden diskutierten und besser in Erfahrung brachten, was sie interessiert. Insgesamt hatten wir über vier Jahre Vorarbeit geleistet, bis wir online gehen konnten. Allein der Aufbau des umfangreichen Portals dauerte fast zweieinhalb Jahre. www.fairunterwegs.org war und ist für uns ein grosses Abenteuer. Doch der Erfolg hat uns recht gegeben. In den letzten fünf Jahren haben über 1,5 Millionen Personen unser Portal besucht, um sich über ein eigentlich komplexes, schwieriges Thema zu informieren.
Nina, du bist kurz vor der Aufschaltung von www.fairunterwegs.org als Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit und Bildung beim arbeitskreis eingestiegen. Was reizte dich an der Onlineredaktion?
Nina Sahdeva (NS): Als wir unser fotokopiertes "Kurznachrichten"-Bulletin, das wir an rund 600 Interessierte verschickten, durch den bunten, elektronischen fairunterwegs-Newsletter ersetzten, der mittlerweile über 2’500 AdressatInnen erreicht, war das ein Quantensprung. Faszinierend finde ich vor allem, dass wir täglich eine Fülle von wichtigen Informationen rund um den internationalen Tourismus erhalten und diese einem interessierten Reisepublikum zugänglich machen können. Unseren rund 40 Partnern des Portals bieten wir die Möglichkeit, die breite Zielgruppe der Reisenden mit ihren Informationen zu erreichen. Gleichzeitig betten wir den Tourismus so in einen grösseren entwicklungspolitischen Zusammenhang ein.
Welchen Herausforderungen musstet ihr euch stellen?
NS: Die Möglichkeit, jederzeit Informationen ins Netz stellen zu können, befreite uns von vielerlei Einschränkungen. Anderseits überforderten wir uns schnell durch die schiere Menge von Meldungen, die wir veröffentlichen zu müssen glaubten. In den letzten fünf Jahren haben wir enorm viel dazu gelernt – Themen und Schwerpunkte klar zu setzen, vor allem aber den richtigen Ton zu finden. Online zu kommunizieren ermöglicht eine hohe Flexibilität und erlaubt uns, auf die Wünsche und Bedürfnisse unserer LeserInnen einzugehen. Es bedeutet aber auch, dass wir unsere journalistischen Kenntnisse täglich erweitern müssen. So ist die Arbeit immer neu und spannend, die Redaktion für das Portal macht richtig Spass.
Wer ist euer Zielpublikum?
Katja Erny (KE): Das Portal ist für Reisende konzipiert, doch stösst das Angebot inzwischen bei einem breiteren Kreis von NutzerInnen auf Interesse: Vor allem die Branche ist auf uns aufmerksam geworden. Dann Studierende aus den Bereichen Tourismus und Nachhaltigkeit. Auch Entwicklungsfachleute finden für sie interessante Inhalte und Kontakte. Das ist eine Herausfoderung für unsere Kommunikation, denn die jeweiligen Zielgruppen wollen auch auf unterschiedliche Weise angesprochen werden. Reisende suchen nach konkreten Tipps, während Branchenleute wissen wollen, wie sie ihre Tourismusangebote nachhaltiger gestalten können. Einige Studierende wiederum hätten am liebsten pfannenfertige Inhalte für ihre Diplomarbeiten. Das ganze Team arbeitet Hand in Hand, um den NutzerInnen die für sie interessanten Infos optimal auf dem Netz zu präsentieren.
NS: In diesem Punkt haben wir noch ein deutliches Verbesserungspotenzial. Gerade im Hinblick auf die Reisenden sind wir gefordert, unseren eingefleischten Fachjargon abzulegen. Reisende wollen vor allem wissen, wie sie ihre Reisen attraktiv und zugleich verträglicher gestalten können. Uns ist es auch wichtig, relevante Hintergrundinformationen zu bieten und unsere Themen in einen entwicklungspolitischen Zusammenhang zu stellen. Neu lancieren wir jetzt eine längerfristig angelegte Konsumkampagne, um Reiselustigen noch griffiger aufzuzeigen, worauf sie beim Buchen und unterwegs achten müssen.
Katja, du kümmerst dich um technische und Marketingaspekte des Portals, die den meisten BesucherInnen verborgen bleiben. Ist das für dich als Tourismus-Fachfrau nicht eine eher trockene Materie?
KE: Einerseits ist das manchmal tatsächlich eine sehr statistiklastige, trockene Angelegenheit. Anderseits bekomme ich alle Innhalte eins zu eins mit und bin an den Diskussionen des Redaktionsteams beteiligt. Mein Job ist es, die Inhalte effizient und kreativ unter die Leute zu bringen. Ich möchte möglichst viele neue BesucherInnen auf unser Portal holen und als treue NutzerInnen behalten. Dazu gilt es, das Portal userfreundlich zu gestalten und à jour zu halten. Hinzu kommt das Onlinemarketing, um unser Angebot bekannt zu machen und so viele Interessierte wie möglich zu erreichen. Es muss mit der gesamten Öffentlichkeitsarbeit des arbeitskreises in Einklang gebracht werden, damit die verschiedenen Zielgruppen erreicht und immer breitere Kreise für unsere Anliegen gewonnen werden.
Gelingt euch das?
KE: Allen Unkenrufen zum Trotz hat unser Portal über die letzten fünf Jahre einen erfreulichen Zulauf erhalten. Das zeigt, dass sehr wohl eine grosse Nachfrage nach Informationen zu verantwortungsvollem Reisen besteht, und beweist zugleich, dass es möglich ist, eine so komplexe Thematik auf einfache Art aufzubereiten, die Lust auf anderes, verträglicheres Reisen macht. Die Kompetenz des ganzen Teams im Umgang mit dem sich kontinuierlich verändernden Internet nimmt ständig zu. Wir sind gut mit der Internet-Community vernetzt. Gegen 1’000 Websites verweisen auf www.fairunterwegs.org, und wir haben praktisch gleich viele Links auf andere Websites geschaltet. Mit täglich neuen Meldungen sorgen wir für einen regen Betrieb. Seit wir 2006 online gingen, haben wir weit mehr als 2’000 neue Meldungen aufgeschaltet.
Gab es auch Flops?
CP: Wir haben ein paar recht heilsame Erfahrungen gemacht: Wie alle anderen Website-BetreiberInnen erhielten wir erst eine harte Lektion im Wissensmanagement. Was jemand vom Team an Webkommunikation lernt, muss an die KollegInnen weitergegeben werden. Es kam nur einmal vor, dass wir bei einem Wechsel im Team allesamt schleunigst in die Weiterbildung marschierten. Dann natürlich die Interaktivität, die uns im Netz überhaupt nicht gelungen ist. Wir haben zwar viele Rückmeldungen auf unsere Inhalte, aber hauptsächlich per Mail. Das Diskussionsforum war vielleicht zu Beginn der langen Konzeptphase noch ein attraktives Format, doch braucht es eine kritische Masse von NutzerInnen und viel Animation, um gute Diskussionen in Gang zu bringen. Flexiblere Formen wie Blogs oder heute der Einsatz der Social Media liegen eher in unserer Reichweite. Gerade Social Media wollen wir künftig intensiver nutzen.
KE: Natürlich waren unser Wissen und das anderer Nichtregierungsorganisationen bezüglich Onlinekommunikation zum Zeitpunkt des Aufbaus von www.fairunterwegs.org noch sehr beschränkt. Mit einem so umfangreichen, belebten Portal gehören wir auch heute noch zu den Web-Pionieren unter den NGOs. Aber unser schmerzhaftester "Lehrplätz" war der Hackerangriff auf das Portal im Frühling 2011 – genau in dem Moment, als die Besucherkurve so entschieden nach oben zeigte. Die Besucherzahlen erholen sich weit weniger schnell als erhofft. Wir müssen nun unsere über die Jahre erreichte gute Platzierung in den Suchmaschinen mühsam wiederaufbauen. Der fiese Angriff, der ja auch zahlreiche, viel renommiertere Websites traf, zeigte uns in aller Deutlichkeit, wie fragil der Kontext sein kann, in dem wir unser zentrales Kommunikationsinstrument betreiben.
Was wünscht ihr euch zum 5. Geburtstag von www.fairunterwegs.org?
NS: Wir wünschen uns, dass die für uns so spannende Öffentlichkeitsarbeit auch wirklich Früchte trägt, dass die Veranstalter ihre Unternehmensverantwortung besser wahrnehmen, dass die Reisenden kritischer buchen und mit offenen Augen unterwegs sind.
CP: Der Hacker-Angriff hat den von den guten Besucherzahlen beflügelten Elan, neue Sponsoren und Förderer zu finden, stark gedämpft. Es ist nach wie vor unser Ziel, dass das Reiseportal seine technischen Kosten für IT sowie für Webkommunikation und Marketing selbst trägt. Das gelang uns nur in einem Betriebsjahr. Die unternehmerische Seite bleibt für eine Non-Profit-Organisation eine grosse Herausforderung. Wir sind aber zuversichtlich, weitere Geldgeber zu finden, die dieses wichtige Sensibilisierungs- und Kommunikationsmittel unterstützen. Bloss ist es nicht einfach, mit der "gehackten" Besucherstatistik überzeugend Fundraising zu betreiben. Darum ist es für uns in diesem Jahr besonders wichtig, Spenden von allen zu erhalten, die unsere Informationen schätzen und sie beruflich oder privat nutzen. Zu unserem 5. Geburtstag stellen wir erstmals ein Sparschweinchen prominent ins Rampenlicht – auf dass es fröhlich klingle! Online spenden ist bei uns übrigens genauso einfach möglich wie offline.
Viele engagierte Mitarbeitende haben zum Erfolg von www.fairunterwegs.org beigetragen. Hier lernen Sie sie kennen.
Facts and Figures zum fünften Geburtstag:
BesucherInnen auf dem Portal
BesucherInnen gesamt: 1’540’321
Seitenaufrufe: 6’271’802
NewsletterabonnentInnen: 2500
BesucherInnen nach Ländern:
Deutschland: 56,3 %
Schweiz: 30 %
Österreich: 6,8 %
191 Länder: 6,85 %
Quellen von Besuchen:
Direkte Zugriffe: 9 %
Verweis-Websites: 32,55 %
Suchmaschinen: 58,22 %
Content:
Brennpunkt Tourismus: 900 Meldungen
Literatur: 313 Buchbesprechungen
Film: 121 Filmtipps
Veranstaltungen: 880 Veranstaltungshinweise
Lesereise: 40 Lesereisen
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