Zum Tag der Indigenen: die friedliche Revolution in Bolivien
Bolivien hat eine Geschichte der brutalen Unterdrückung und Ausbeutung der Urbevölkerung und des schamlosen Diebstahls der Bodenschätze hinter sich. Erst mit dem 500-Jahr-Jubiläum der "Entdeckung Lateinamerikas" 2001 entstand ein neues indigenes Bewusstsein.
Seit 1992 hatten sich allmählich starke und gut organisierte Widerstandsbewegungen gegen die Diskriminierung und politische Ausgrenzung der Indigenen und gegen die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes formiert. Im Zuge dieses erfolgreichen Protests gegen die Privatisierung von Wasser und den unkontrollierten Gasexport profilierte sich der Aymara-Indigene und Coca-Gewerkschafter Evo Morales Ayma als politische Führungsgestalt. Seine Wahl zum Präsidenten Boliviens im Dezember 2005 kam einer friedlichen Revolution gleich, die erstmals der indigenen Bevölkerungsmehrheit Hoffnung auf eine demokratische Beteiligung an den Geschicken des Landes gab. Inzwischen hat sich der politische Aufbruch etabliert und ist in der Bevölkerung stark verankert. Evo Morales hat die Wiederwahl im Dezember 2009 mit einem historischen Triumph feiern können: 64,4 Prozent der bolivianischen Bevölkerung haben ihn wiedergewählt.
Gutes Leben als Leitstern
Es wäre jedoch ein grosser Fehler, die friedliche bolivianische Revolution auf
eine einzige politische Gestalt zu reduzieren. Der neue nationale Entwicklungsplan und die Verfassung, die am 25. Januar 2009 – nicht ohne vorgängigen Druck der Strasse – angenommen wurde, zielen auf ein neues Land hin: "Indem wir das Mandat unserer Völker erfüllen, mit der Kraft unserer Pachamama und Gott sei Dank, gründen wir Bolivien neu." (Präambel der Verfassung)
Mit der indigenen Vorstellung des "suma quamaña", des guten Lebens als Leitstern, hat Bolivien begonnen, einen egalitären Vielvölkerstaat zu entwickeln, in dem lokale und regionale indigene Strukturen ebenso ihr Recht haben wie der Nationalstaat.
"Bonos" für die Bevölkerung
Schnell ist im Zusammenhang mit Bolivien von Populismus, von ökonomischer und politischer Inkompetenz die Rede. Dabei geht vergessen, wie vorsichtig die aktuelle Regierung mit dem bestehenden Marktgefüge umgegangen ist, wie souverän Bolivien in der aktuellen Finanzkrise dasteht und wie deutlich die positiven Auswirkungen der verbesserten Arbeitsplatzsicherheit und der so genannten "Bonos" wahrnehmbar sind. Was international als gefährliches Giesskannenprinzip kritisiert wird, hat entscheidenden Einfluss auf das Bildungswesen (Bono Juancito Pinto), die Begleitung der Frauen vor der Geburt (Bono Juana Azurduy) und die Situation der Pensionierten (Bono Dignidad). Dies ist sicher eine bessere Verwendung der Erlöse aus dem Gasexport, als damit multinationale Konzerne zu füttern. Die friedliche Revolution in Bolivien ist eine gute Botschaft für die internationale Gemeinschaft: Eine andere Welt ist möglich!
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