Zum Weltwassertag: Wasserfälle sind für die Pflanzen- und Tierwelt wichtiger als bisher angenommen
Wo früher Wassermassen tosend und schäumend in den Abgrund fielen, gleiten heute noch verschämte Rinnsale über die Felsen: Seit Mitte des letzten Jahrhunderts sind in der Schweiz rund 60 Prozent der grösseren Wasserfälle ge- oder verschwunden. Energieunternehmen gewinnen aus der Kraft der Wasserfälle Strom. Diese Entwicklung hat zwei Forscher auf den Plan gerufen: Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, und Bruno Baur, Professor am Institut für Natur-, Landschafts- und Umweltschutz der Uni Basel. Sie sind der Frage nachgegangen, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür sprechen, Wasserfälle zu schützen und zu erhalten. Ihre 2015 erschienene Publikation „Wasserfälle – Ökologische und soziokulturelle Leistungen eines bedrohten Naturmonumentes“ liefert überraschende neue Befunde.
Unerwartet vielfältige Pflanzen- und Tierwelt
Die Autoren zählten bei sechs Wasserfällen die Pflanzen- und Tierarten. Dort, wo das Wasser aufprallt und sprüht, fanden sie Algen, Kieselalgen, Flechten, Moose, Gefässpflanzen und Landschnecken. Sie unterschieden 515 nachgewiesene Arten und wiesen damit eine überraschend grosse Vielfalt nach. Die Autoren berücksichtigten auch Arbeiten von Studierenden der Universität Zürich und Neuenburg. Diese untersuchten den Wert der Fälle aufgrund ihrer Schönheit, ihrer kulturellen Bedeutung und ihrem Nutzen für die Bevölkerung. Obwohl diese Werte bedeutend sind, vernachlässigen sie PolitikerInnen immer wieder, wenn sie bei Energieprojekten die Interessen abwägen.
Das Buch zeigt auf, dass Wasserfälle nicht nur einzelnen Menschen wohltun, sondern auch objektiven Wert haben. Dazu verweisen die Forscher auf Darstellungen von Wasserfällen in der Kunstgeschichte, die zeigen, wie diese Naturmonumente auch kulturell bedeutend sind. Solche Darstellungen wurden im 18. und 19. Jahrhundert gerne fürs touristische Marketing eingesetzt. Doch jenseits aller Marketingüberlegungen zeigen Forschungen, dass Wasserfälle gesund sind.
Starke Argumente für den Schutz der Wasserfälle
Jeder Wasserfall ist auf seine Art schön. Ein eigens entwickelter Kriterienkatalog unterscheidet, was bei welchem Wasserfall im Vordergrund steht: wie er aussieht, was Menschen durch ihn empfinden und wie seine Schönheit (zum Beispiel touristisch) genutzt werden kann. Die Verantwortlichen betrachten Wasserfälle oft als isoliertes Element in der Landschaft. Doch Wasserfälle prägen die Landschaft. Ist einmal klar, was das Besondere eines Wasserfalls und seiner umgebenden Landschaft ist, lassen sich auch konkrete Schutzziele für die Aufnahme in ein Inventar definieren.
Wasserfälle zu erhalten lohnt sich, sind die Autoren überzeugt. Sie raten davon ab, Wasserfälle gleichzeitig touristisch und zur Stromgewinnung zu nutzen. Zudem ist es ihrer Meinung nach überflüssig, sie übermässig mit baulichen Massnahmen in Szene zu setzen. Sie fordern, der landschaftliche Wert solle in Umweltberichten besser erfasst werden. Als Grundlage, um diese Forderungen umzusetzen, brauche es ein Inventar der Wasserfälle von nationaler, regionaler und kommunaler Bedeutung. Es solle auch verschwundene Wasserfälle aufführen, damit man sie über Schutz- und Nutzungspläne reaktivieren kann. Beispiel hierfür ist der Schreyenbachfall in Glarus Süd.
Dass die Autoren das Wissen aus mehreren Lehrfächern zusammenführen, ist die Stärke des Buches. So konnten sie neue überzeugende Argumente formulieren, um den Schutz der Wasserfälle zu begründen. Die abgebildeten Landschaftsmalereien und Fotos von Wasserfällen sind eindrücklich und spektakulär und werten die Lektüre zusätzlich auf.
Rodewald, R.; Baur, B. (Red.) 2015: Wasserfälle – Ökologische und soziokulturelle Leistung eines bedrohten Naturmonumentes, Bristol-Schriftenreihe Nr. 47, Bern, Haupt Verlag, 246 S., 91. Abb. und 21 Tab., CHF 36.00. ISBN 978-3-258-07949-3.
Erhältlich bei der Stiftung Landschaftsschutz oder in Buchhandlungen.