Unter dem Titel „Entwicklungsfaktor Tourismus“ hat der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) eine umfangreiche statistische Analyse der Ausgaben von deutschen Reisenden in Entwicklungs- und Schwellenländern vorgestellt. Die Studie erlaubt eine differenzierte Betrachtung der Höhe und Art der Ausgaben vor Ort und ermöglicht eine vorsichtige quantitative Abschätzung daraus resultierender Beschäftigungseffekte. Damit leistet die Studie einen spezifischen Beitrag zur notwendigen und vielschichtigen Diskussion um die Rolle des Tourismus bei der Wirtschaftsentwicklung ärmerer und sich entwickelnder Länder. Nicht mehr, aber auch nicht weniger…

Widersprüchliche Ergebnisse

Denn während der Nachweis, dass die Reisenden Devisen in ökonomisch schwache Länder bringen, noch hinreichend banal ist und die Studie dazu belastbare Zahlen liefert, schwächeln die Studien-Erkenntnisse zu breiteren gesellschaftlichen und sozioökonomischen Wirkungen des Tourismus erheblich. So verbessert sich global gesehen der Bildungsindex der Bevölkerung in einem Entwicklungs- oder Schwellenland um 0,02 Punkte, wenn sich die Anzahl der internationalen Reisenden verdoppelt. Eben diese Verdoppelung führt nach Angaben der Studie zu einem verbesserten Zugang zu Elektrizität von 0,7%. Ein weiterer untersuchter Indikator ist der Zusammenhang zwischen der Einkommensgleichheit und der Anzahl der Reisenden. Während die Gleichheit mit steigenden Touristenzahlen zu Beginn zunimmt, scheint der Tourismus auf längere Sicht der gleichmäßigen Steigerung der Einkommen entgegenzuwirken. Alle Detailergebnisse der Studie zusammengefasst, bleibt der Eindruck, dass die vorschnelle Gleichsetzung von Tourismus und Entwicklung auf Grundlage der statistischen Analysen eher in Frage gestellt, als bekräftigt wird.
Erschreckend sind nicht nur die niedrigen statistischen Werte in Bezug auf sozioökonomische Folgen des Tourismus, sondern auch die Bedingungen unter denen diese niedrigen Werte statistisch erreicht werden: eine Verdoppelung der internationalen Tourismusankünfte bedeutet eine extreme Zunahme von  Flügen auf der Mittel- und Langstrecke. Der dabei entstehende Klimaschaden, der die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern besonders trifft, bleibt ohne Berechnung. Dieses „Entwicklungsszenario“ ist alles andere als nachhaltig und verschlechtert die Lebenssituation insbesondere armer Bevölkerungsteile. Die Nicht-Beachtung dieser realen ökologischen Kosten, ist eines der größten Defizite der Studie. Die Maßgabe, einseitig auf internationalen Tourismus und quantitatives Wachstum zu setzen, wird die externe Abhängigkeit von Entwicklungs- und Schwellenländern weiter erhöhen und diese im Fall von Naturkatastrophen und Reisewarnungen besonders treffen.

Ist kein Tourismus dann besser als Tourismus?

Nein, doch bedürfen die Zahlen einer Überprüfung auf lokaler Ebene. Dabei darf Tourismus nicht isoliert und unter rein ökonomischen Vorzeichen betrachtet werden. Die Frage, welche Art von Tourismus in welcher Größenordnung gewollt ist, muss vor Ort gemeinsam von Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft auf Augenhöhe ausgehandelt werden. Wirtschaftliche Impulse auf der einen Seite, Menschenrechtsschutz, sinnvolle Tragfähigkeitsbeschränkungen und Nachhaltigkeitsstrategien im Tourismus auf der anderen Seite schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich.
In Bezug auf Entwicklungs- und Schwellenländer bedeutet dies, die Potenziale für regionalen und nationalen Tourismus systematisch und verantwortungsvoll zu entwickeln und Tourismus als einen von vielen Beiträgen zu einer differenzierteren Wirtschaftsstruktur zu verstehen. Die vielfach zu belegenden sozialen und ökologischen Negativeffekte und Verwerfungen massentouristischer Monokulturen dürfen nicht wiederholt werden.    
Auch für den Tourismus aus Deutschland bringt die Studie Hausaufgaben auf den Tisch: Wie kann es gelingen, die Ausgaben der Reisenden am Urlaubsort zu erhöhen und die Wertschöpfung dort zu diversifizieren? Im Vergleich zum Reisepreis, den die Urlauber für Reisen in Entwicklungs- und Schwellenländern zahlen, werden vor Ort erschreckend geringe Ausgaben pro Person von durchschnittlich nur 286€ getätigt – und das bei einer Aufenthaltsdauer, die oft über 14 Tagen liegt.   

Tourismus = Entwicklung?

Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft und das mit-finanzierende Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hätten gut daran getan, sich nicht einige Jahre in statistischen Spielereien zu verfangen, sondern die Zeit zu nutzen, um vielfach vorhandene Erkenntnisse zu den Zusammenhängen von Tourismus und Menschenrechten sowie Reisen und Klimagerechtigkeit zu reflektieren. Denn die Herausforderungen sind immens: Wie sollte sich der Tourismus aus Deutschland in Entwicklungs- und Schwellenländer verändern, damit es vor Ort wirklich dauerhafte positive Veränderungen gibt? Die Studie verstärkt den Auftrag für Entwicklungspolitik und internationale Reiseveranstalter, die Potentiale und Risiken des Tourismus aus Deutschland zu reflektieren und Maßnahmen zu ergreifen, damit Menschen im Tourismus würdige Arbeit und existenzsichernde Löhne erhalten, die Umwelt und das Klima möglichst wenig belastet, sowie die Beteiligungsmöglichkeiten auch derer, die nicht direkt im Tourismus tätig sind, erhöht werden.
Die einfache These vom „Entwicklungshelfer“ Tourismus, der per se positive gesellschaftliche Impulse setzt, allein weil es ihn gibt, wird durch die Studie nicht gestützt!