
«Oft kommt man mit nachhaltigen Lösungen auch auf bessere Leistungen für den Gast»
Matteo Baldi: Wie wird die Jugendherberge in St. Moritz wahrgenommen?
René Dobler: Sie hat ein gewisses Alleinstellungsmerkmal. Es gibt in diesem Preissegment wenig Angebote und das steht etwas konträr zu dem, wofür St. Moritz gemeinhin steht. Gerade deshalb wirkt die Herberge als Bereicherung und zeigt, dass auch günstigere, nachhaltige Angebote ihre Berechtigung haben.
MB: Welchen Einfluss hat ein nachhaltiger Bau in einer Destination wie St. Moritz?
RD: Ein einzelnes Bauwerk hat natürlich einen beschränkten Einfluss. Aber es hat eine Vorbildwirkung – besonders, wenn man zeigt, wie man mit einem Bau aus den 70er-Jahren verantwortungsvoll umgehen kann. Wir machen sichtbar, dass man bestehende Gebäude ökologisch und wirtschaftlich erneuern kann. Und weil wir uns als Organisation klar zur Nachhaltigkeit bekennen und damit auch erfolgreich sind, regt das andere zum Nachdenken an – auch jene, die dem Thema sonst eher fernstehen.
MB: Trägt die Jugendherberge auch zur Vielfalt des touristischen Angebots bei?
RD: Ja, ganz klar. Wir haben Gäste, die sonst nie nach St. Moritz kämen – etwa junge Sportler*innen oder Mitarbeitende bei Grossanlässen wie der Ski-WM oder der Jugendolympiade. Solche Events funktionieren nur, wenn es ein breites Beherbergungsangebot gibt. Damit leisten wir auch für andere Anbieter in der Region einen Beitrag.
MB: Hat das auch eine Signalwirkung auf die Destination selbst?
RD: Ich denke schon. Sie zeigt, dass Vielfalt in einer Destination wichtig ist. Gerade in Krisenzeiten merkt man, dass eine breite Aufstellung zur Resilienz beiträgt. Auch wenn St. Moritz stark im Premiumsegment positioniert ist, hat es ein Interesse an solchen Angeboten – und das Bewusstsein dafür wächst.
Familienzimmer © Jugendherberge | Michel van GrondelMB: Wie nehmen die Gäste das Angebot wahr?
RD: Viele sind einfach dankbar, dass sie eine hochpreisige Destination auch mit einem kleineren Budget erleben können. Besonders Sportler*innen, Familien oder Gruppen schätzen das sehr. Für einige wäre ein Aufenthalt in St. Moritz sonst gar nicht möglich.
MB: Gibt es Reaktionen auf das Nachhaltigkeitskonzept?
RD: Ja, durchwegs positive. Die Gäste merken, dass Nachhaltigkeit hier nichts mit Verzicht zu tun hat, sondern mit Qualität. Sie fühlen sich willkommen – und das prägt die Wahrnehmung stark.
MB: Was macht einen Beherbergungsbetrieb nachhaltig?
RD: Im Vordergrund steht die Energie. Bei einem Bau aus den 1970er-Jahren war klar: Wir brauchen eine neue Gebäudehülle und müssen die Heizung auf erneuerbar umstellen. Wir haben auf Pellets gewechselt, Sonnenenergie für Strom und Warmwasser integriert und den Energieverbrauch stark reduziert, da es sich bei der Heizung und dem Warmwasser um die Hauptemittenten handelt.
MB: Gab es auch infrastrukturelle Verbesserungen?
RD: Gerade bei der individuellen An- und Abreise besteht grosses Potential, CO2- Emissionen zu reduzieren. Deshalb ist die neue Bushaltestelle direkt vor dem Haus so wichtig: Gäste mit Sportmaterial können gut und bequem mit dem ÖV anreisen. Solche Details sind wichtig, weil sie zeigen, dass Nachhaltigkeit auch Komfort bedeuten kann.
Jugendherberge St. Moritz: Wandern, Lachen & Erholen © Schweizer JugendherbergenMB: In St. Moritz ist die Mitarbeiter*innenfluktuation sehr tief. Woran liegt das?
RD: Das hat viele Gründe und einen Betrieb nur über einen kurzen Zeitraum zu bewerten ist schwierig. In einer Destination wie St. Moritz ist es sicher so, dass man eine Stelle sehr bewusst antritt. Ausserdem haben wir gute Löhne, ein gutes und günstiges Wohnangebot direkt im Haus und ein starkes Teamgefühl. Ausserdem sind unsere Strukturen durchlässig – Mitarbeitende können verschiedene Aufgaben übernehmen. Das schafft Identifikation und Stabilität.
MB: Unsere G.L.Ü.C.K.-Formel besagt ja, dass glückliche Mitarbeiter*innen glückliche Gäste zur Folge haben. Lässt sich dies am Standort in St. Moritz feststellen?
RD: Unbedingt. Wenn die Mitarbeitenden zufrieden sind und faire Bedingungen haben, spürt das der Gast sofort. Diese Zufriedenheit überträgt sich. Mitarbeitende sind das wichtigste Element des Gästeerlebnisses – vom Empfang bis zur Atmosphäre im Haus. Natürlich gibt es auch andere Faktoren, die zur Gästezufriedenheit beitragen, und nichts mit den Mitarbeiter*innen zu tun haben.
MB: Nachhaltigkeit wird oft mit Verzicht gleichgesetzt. Gilt das auch hier?
RD: Nein, überhaupt nicht. Wir versuchen, dort zu optimieren, wo der Gast es gar nicht merkt. Der Komfort bleibt gleich oder wird sogar besser. Situationen, in denen wir aus Umweltüberlegungen die Preise erhöhen müssten, haben wir praktisch nie. Gesamtheitlich betrachtet ist die Frage kontraproduktiv, denn sie vermittelt den Eindruck, dass Nachhaltigkeit immer zusätzliche Kosten verursache – und man deshalb an anderen Orten einsparen müsse. Diese Gleichung stimmt nicht, oft kommt man mit nachhaltigen Lösungen auch auf bessere Leistungen für den Gast.
Jugendherberge St. Moritz im neuen Kleid © Schweizer Jugendherbergen | Michel van GrondelMB: Gibt es da ein konkretes Beispiel?
RD: Während der Energiemangellage mussten wir Heizenergie und Strom sparen und haben erst in diesem Prozess bemerkt, dass wir tendenziell zu viel heizen. Denn als Gastgeber*in tut man in der Regel alles dafür, um zu vermeiden, dass Gäste frieren. Dass sie aber manchmal zu warm haben, merken wir häufig gar nicht.
MB: Wie reagieren die Gäste darauf?
RD: Sie spüren den Unterschied, auch wenn sie es nicht immer benennen. Nachhaltigkeit und Wohlbefinden gehören zusammen. Denn Nachhaltigkeit soll ja nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch Mehrwert schaffen. Und diesen Mehrwert spürt der Gast.
MB: Welche Rolle spielten Materialien beim Umbau?
RD: Eine grosse. Wir verwenden emissionsarme, unbehandelte Materialien, möglichst aus der Region. Die Fassade ist aus regionalem Holz. Im Innenraum setzen wir auf natürliche Stoffe, die das Wohlbefinden fördern. So entsteht auch hier wieder eine gewisse Vorbildwirkung – andere sehen, dass das funktioniert.
MB: Profitieren lokale Betriebe davon?
RD: Mit unserer Nachfrage nach umweltfreundlichen Materialien wirken wir direkt auf die Handwerksbetriebe. Sie passen ihre Produktion der Nachfrage nach ökologisch unbedenkliche Materialien an – so verändert sich der Markt und die Betriebe lernen viel über neue Techniken und Materialien ohne chemische Zusatzstoffe.
Auch im Innenraum bestimmen naturbelassene Werkstoffe das Erscheinungsbild © Schweizer Jugendherbergen | Michel van GrondelMB: Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus St. Moritz?
RD: Entscheidend ist, klare Ziele zu haben und mit den richtigen Partner*innen zu arbeiten. Schwieriger ist die Mischung von Gebäudeteilen in zwei Generationen und das spürt man auch als Gast. Jedoch waren gewisse Teile des Hauses noch in einem so guten Zustand, dass wir diese nicht umbauen wollten.
MB: Hinter den Jugendherbergen stecken zwei Organisationen: Der Verein tritt als Betreiber*in auf, die Stiftung als Eigentümer*in und Bauherr*in. Wie sind die Rollen bei solchen Projekten verteilt?
RD: Wir teilen eine Philosophie, wodurch wir auch dieselbe Strategie verfolgen – das ist entscheidend, weil wir langfristig planen können. Es ist eine Stärke der Jugendherbergen: Die Stiftung als Investor muss keine Kompromisse mit wechselnden Betreiber*innen eingehen. So können wir konsequent und langfristig planen, was bei Immobilien sehr wichtig ist. In Bezug auf unsere Nachhaltigkeitsstrategie behalten wir Investorin immer die betriebliche Wirtschaftlichkeit im Auge und setzen auf bewährte Technologien und verzichten auf technische Experimente.
MB: Würde auch eine Jugendherberge auf dem Land so renoviert?
RD: Die Ansprüche an Energieeffizienz und CO₂-Reduktion gelten für alle gleich. Wir haben klare Prioritäten in der Reihenfolge der Renovierungen, aber keine Unterschiede in der Haltung.
Jugendherberge St Moritz © Schweizer Jugendherbergen | Leonidas PortmannMB: Die Schweizer Jugendherbergen verstehen sich auch als soziale Organisation. Was heisst das konkret?
RD: Wir wollen möglichst allen Menschen ermöglichen, in der Schweiz zu reisen – unabhängig vom Budget. Das ist unser sozialer Auftrag. Wir halten ein breites Angebot aufrecht, auch dort, wo es wirtschaftlich schwieriger ist. Damit zeigen wir, dass Tourismus nicht exklusiv sein muss. Wir wollen möglichst viele und unterschiedliche Regionen mit unserem Angebot erlebbar machen.
MB: Die Jugendherbergen sind also mehr als nur Beherbergungsbetriebe?
RD: Wir stehen mit unseren Häusern in der Öffentlichkeit und werden wahrgenommen. Diese Vorbildwirkung ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Wir zeigen, dass man sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig arbeiten kann – ohne Verzicht und ohne ideologischen Zeigefinger. Das ist unser Beitrag zur Zukunft des Tourismus.

René Dobler, CEO Schweizerische Stiftung für Sozialtourismus SSST
Dipl. Architekt ETH/SIA; Bauökonom AEC
René Dobler bildete sich an der ETH Zürich zum Architekten aus, zudem schloss er das Ergänzungsstudium in Bauökonomie ab. Er begann seine Arbeit für die Schweizer Jugendherbergen 1993 als externer Berater. 1999 wurde er zum Geschäftsleiter der SSST ernannt. In seiner langjährigen Arbeit hat er die Bauten der Jugendherbergen zu einer Corporate Architecture geformt. Sein grosses Engagement in der nachhaltigen Entwicklung ist mehrfach ausgezeichnet worden.
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