Olympia 2022 – Graubünden im Fieber
Die Anzahl der Disziplinen, Athleten, Medienleute, Sponsoren und Gäste bei den Olympischen Winterspielen ist in den letzten Jahren ständig gewachsen. Winterolympiaden gehören zu den grössten Sportveranstaltungen der Welt. Diese in zwei kleine Talschaften zu pressen, ist sehr zweifelhaft. Als Host City steht keine grosse Stadt wie Innsbruck oder Vancouver zur Verfügung, die bereits eine gute Infrastruktur besitzt oder eine solche auch nach den Spielen wirklich nutzen kann.
Eine Charta für nachhaltige Spiele – N(A)IV
Mit der NIV-Charta (Charta für Nachhaltigkeit, Innovation und Vermächtnis) wollen die Organisatoren einen verbindlichen Handlungsspielraum für die Olympiade 2022 schaffen. Doch die NIV-Charta hat im Moment der Abstimmung am 3. März 2013 keinen verbindlichen Charakter; weder ist sie Gegenstand der Abstimmung noch war sie integrierender Bestandteil der Botschaft an den Bündner Grossen Rat. Am 3. März stimmen die BündnerInnen "lediglich" über eine Änderung ihres Finanzhaushaltsgesetzes ab. Die Vorlage sieht vor, dass 300 Millionen Franken – fast ein Drittel des Bündner Volksvermögens – für die Spiele reserviert werden.
Interessant ist auch, dass die NIV-Charta die Einhaltung bestehender Gesetze betont. So sollen beispielsweise Schutzgebiete von nationaler Bedeutung von der Durchführung der Spiele nicht beeinträchtigt werden. Für diese Zusage braucht es kein spezielles Dokument. Bei täglich bis zu 1740 Busfahrten nach St. Moritz respektive Davos und zurück kann auch nicht von Nachhaltigkeit gesprochen werden. Viele Bauten werden nur für eine temporäre Nutzung erstellt, notabene in einer Landschaft, von der der Tourismus bis heute profitiert. Die Gleichung Nachhaltigkeit × Innovation = Vermächtnis kann also nicht aufgehen. Das Vermächtnis wird in den negativen Auswirkungen auf Umwelt und Bevölkerung bestehen.
Unglaublich ist auch, dass viele Gegner der Alpenkonvention, die von der Schweiz immer noch nicht ratifiziert ist, jetzt mit der NIV-Charta werben. Die Alpenkonvention böte den Rahmen für eine nachhaltige Entwicklung des Alpenraums und dies im internationalen Kontext der Alpenstaaten.
Das Allheilmittel für den Tourismus?
Mit Olympia soll der schwächelnde Tourismus in Graubünden beziehungsweise gar in der ganzen Schweiz gestärkt werden. Die Probleme liegen aber nicht im Marketing, sondern bei der Preisentwicklung, den Strukturen, der Dienstleistungsbereitschaft und dem Mangel an innovativen Angeboten. Diese Schwächen können mit einem gigantischen Anlass wie Olympia nicht einfach weggewischt werden. Zudem hat sich bei allen Grossveranstaltungen, insbesondere bei Olympischen Spielen, gezeigt, dass ein "Crowding-out-Effekt" eintritt: Weil die Betten durch Athleten, Sponsoren, Funktionäre, freiwillige HelferInnen usw. belegt sind, finden Stamm- und potenzielle Gäste keinen Platz. Sie weichen auf Nachbarländer aus und entdecken möglicherweise, dass man dort genauso gut und sogar günstiger Wintersport betreiben kann und obendrein mehr Gastfreundschaft erfährt. Darum bleiben sie auch in den folgenden Jahren aus.
Sehr problematisch wird bei einer Durchführung der Winterspiele auch die Konzentration auf diesen Anlass sein. Andere touristische Ideen und Konzepte werden kaum mehr gefördert, weil kein Geld und keine personellen Ressourcen vorhanden sind. Dadurch verliert der Tourismuskanton innovative Ansätze wie Kultur- und Architekturtourismus, Naturpärke usw. Das interessante Konzept eines neuen Sommertourismus (Sommerfrische) wird so im Keime erstickt. Auch die sehr innovative und an sich Erfolg versprechende Idee der "klein und fein"-Orte in Graubünden wurde bereits stillschweigend begraben. Selbst wenn der Wintersport eine der wichtigsten Stützen unseres Tourismus ist und bleibt, ist eine Diversifizierung in der heutigen Freizeitwelt ein Muss. Junge Menschen werden wegen Olympia kaum auf Skier und Snowboard wechseln. Dazu sind die Angebote in den Städten viel zu gross und die Kosten für einen Winterurlaub zu hoch.
Der grosse Gewinner ist das IOK – das Risiko tragen die SteuerzahlerInnen
Hochbrisant ist das Thema Finanzen. Die Promotoren versprechen, das Budget einzuhalten. Die Geschichte hat aber gezeigt, dass bis heute kein Olympiaort die Kosten im Griff hatte, weil das Internationale Olympische Komitee IOK die Regeln der Durchführung vorgibt. Interessant ist, dass drei Budgets bestehen: das Durchführungsbudget, das Investitionsbudget und ein "hidden Budget", in dem insbesondere die Kosten für die Sicherheit enthalten sind.
Das Schweizer Parlament, das für die Defizitgarantie des Bundes zuständig ist, hat bis heute keine verbindliche Zusage gemacht. Die Milliarde Franken, die der Bundesrat zugesichert hat, ist noch nicht abgesegnet. Viele Mitglieder des Parlaments sind gegen die Übernahme der vom IOK geforderte Defizitgarantie. Ohne diese wird aber kein Zuschlag erfolgen. Allein die Kosten für die Kandidatur bis 2015 sind mit 60 Millionen Franken budgetiert. Eine Summe, die im Gegensatz zu den kleinen, weissen Wintersportspielen steht. Pro AthletIn kostet die Winterolympiade eine Million Franken – ein Beitrag, der besser in die Jugendsportförderung investiert würde.
Das Beispiel Sicherheit, veranschlagt mit 250 Millionen Franken, zeigt dass das Budget unrealistisch ist. In Vancouver betrugen die Sicherheitskosten 900 Millionen US-Dollar – fünfmal so viel wie budgetiert. Die effektiven Kosten der Durchführung werden wir erst im Jahr 2022 präsentiert bekommen. Sie werden bestimmt um einiges höher sein als geplant. Risikoträger ist aber nicht das IOK als Veranstalter der Olympischen Spiele. Die Rechnung bezahlen am Schluss die SteuerzahlerInnen – nicht nur in Graubünden, sondern in der ganzen Schweiz.
Der Druck der Promotoren ist riesig, die Werbelawine mit Inseraten und Prospekten einmalig. Allein dies zeigt, dass viel Überredungsarbeit und nicht Überzeugungsarbeit nötig ist. An der Abstimmung vom kommenden Sonntag, 3. März 2013 zählt jedes NEIN – damit wir nicht nach den Spielen in eine kollektive Depression fallen.