Marginalisierte Gesellschaften in Israel: Palästinenserinnen und Beduinenfrauen
Die nicht-jüdische arabische Minderheit, die die israelische Staatsbürgerschaft besitzt, stellt etwa 20% der Gesamtbevölkerung Israels (7 Mio.). Im Folgenden sind mit ‚AraberInnen’ die PalästinenserInnen und die Beduinen gemeint, da beide Bevölkerungsgruppen arabischer Herkunft sind. Die nicht-jüdische arabische Minderheit unterscheidet sich von den später eingewanderten, jüdischen AraberInnen dadurch, dass sie 1948 schon im neu gegründeten Staat Israel lebte und/oder dort intern vertrieben wurde. Obwohl ihre Staatszugehörigkeit unbestritten – wenn auch nicht unumstritten – ist, sieht sie sich aufgrund ethno-religiöser Grundsätze rechtlich und gesellschaftlich benachteiligt. Die Lebenssituation der AraberInnen ist paradox, werden sie doch vom eigenen Staat für ihre Religionszugehörigkeit mit Diskriminierung ‚bestraft’ und gelten schlechthin als Israel-interne Bedrohung. Weder als ChristInnen noch als MuslimInnen sind sie der jüdischen Gesellschaft gleichgestellt.
Von den 160’000 Beduinen leben die meisten im Negev. Sie sind israelische StaatsbürgerInnen dritter Klasse. Teils wohnen sie in anerkannten Dörfern, wo sie in den 1950er Jahren zwangsangesiedelt wurden, teils in nicht anerkannten Dörfern, wo sie sich selber niederliessen. Die Lebensbedingungen in den nicht anerkannten Dörfern sind erbärmlich, die Menschen überleben in Wellblechhütten ohne Strom, fliessendes Wasser und Infrastruktur. Zwischen 67-90 Prozent der Beduinen bewegen sich unterhalb der Armutsgrenze, viele von ihnen leiden an chronischer Unterernährung und unbehandelten Krankheiten. Der Übergang von der nomadischen zur sesshaften Lebensform untergrub den Status der Frauen innerhalb ihrer Gemeinschaft. Die Geschlechterdifferenz entstand dadurch, dass die Frauen nicht geschult waren/werden und somit in den Augen ihrer Männer als minderwertig galten. Ihre vormalig starke Stellung und ihre Verantwortung für das Überleben der Gesellschaft verloren durch die Zwangsansiedlung an Bedeutung.
Rechte der Frauen / Menschenrechte
In Israel erhält die Frage nach den Rechten von Frauen mehrfaches Gewicht. Die Rechtsgleichheit von israelischen Frauen und Männern ist insofern kein Thema, als ashkenasische (d.i. ‚westliche’) Jüdinnen seit der Gründung des Staates in politische und öffentliche Ämter einbezogen waren und Wehrdienst leisteten, auch wenn sie in der militärischen Hierarchie bis heute nicht in den obersten Rängen anzutreffen sind. Sie beanspruchten ihre Rechte auf Ausbildung, berufliche Positionen und soziale Egalität. Die Sache könnte für die nicht-jüdischen Araberinnen unterschiedlicher nicht aussehen. Sie müssen um ihre Ausbildung, ja selbst um die Alphabetisierung, kämpfen, leiden unter beschränktem Zugang zu medizinischer Versorgung und haben kaum Möglichkeiten, erfahrenes Unrecht vor einem Gericht einzuklagen. Frauenrechte kreuzen sich hier mit der gesellschaftlichen Position von Frauen: die Araberinnen erfahren in ihrer eigenen Gemeinschaft vielfache Diskriminierung. In der Konsequenz lässt sich die Frage nach der Einhaltung von Menschenrechten umfassender formulieren. Die Araberinnen sehen sich einer israelisch-staatlichen Marginalisierung ausgesetzt und werden von offizieller Seite nicht vor arabisch-gesellschaftlichen Diskriminierungen geschützt.
Frauen sind aktiv
Um schulischen, rechtlichen, ökonomischen und politischen Ungleichheiten etwas Positives entgegenzusetzen, sind die Araberinnen in Israel aufgefordert, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und sich selber auf bisher ungewohnte Weise wahrzunehmen. Frauen-Empowerment zählt zu den vorrangigsten Aufgaben von arabischen Frauen-NGOs in Israel. Diese bieten Frauen in den Dörfern Nord-Israels oder im Negev Möglichkeiten, über ihre Situation und ihre Bedürfnisse laut nachzudenken und nach neuen Lösungen in ihrem eingeschränkten Lebensumfeld zu suchen. Was auch immer die Ideen, Vorschläge und deren Umsetzung angeht, so spielt die Akzeptanz der männlichen Mitglieder eines Dorfes/der Familie den Dreh- und Angelpunkt jeglicher sozialer Veränderung. Die Araberinnen lernen zunächst, sich in der Familie und der Öffentlichkeit mit männlich dominierten Meinungen oder Traditionen auseinanderzusetzen und mit stichhaltigen Argumenten ihre Männer von einer Veränderung zu überzeugen. Erst wenn ihnen das gelungen ist, sehen sie ihre Chancen als gekommen: Sie lernen schreiben und lesen, besuchen die Schule, erwirtschaften einen eigenen Lohn oder fordern ihre Rechte mit Hilfe einer Anwältin vor Gericht ein. Sie ergreifen die Initiative, lobbyieren für Frauenrechte und gewaltfreies Handeln, beteiligen sich an der Gemeindearbeit und setzen in der Folge einen Prozess der gesellschaftlichen Veränderung in Gang, der in der eigenen Gemeinschaft Respekt und Akzeptanz auslöst und langfristig zu politischer Anerkennung von marginalisierten Gruppen in der israelischen Gesellschaft führt.
Empowerment beginnt für die Araberinnen in Israel mit der Veränderung gegenseitiger Wahrnehmung von geschlechterspezifischen Rollenbildern, mit der Auseinandersetzung mit männlicher und weiblicher Autorität, dem Entwickeln von selbst definierten Strategien sowie mit der Anerkennung des ureigenen Selbstverständnisses.
Esther Stebler ist Programmverantwortliche Palästina/Israel beim Christlichen Friedensdienst cfd, der feministischen Friedensorganisation.
Der cfd unterstützt in Israel Empowerment-Projekte palästinensischer und beduinischer Frauenorganisationen. Mit Programmen für Bildung und Einkommensförderung verbessern sie den Zugang von Frauen zu Ressourcen. Gemeinsam mit anderen NGOs kämpfen sie gegen Diskriminierung und Gewalt aufgrund von Herkunft und Geschlecht und setzen sich ein für mehr sozialen und politischen Handlungsspielraum von Frauen. Der cfd gehört zu den Trägerorganisationen des arbeitskreises tourismus & entwicklung. Mehr dazu auf www.cfd-ch.org